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Schmitz, Eugen
»›Salome‹ neu einstudiert. Dresdner Opernhaus, am 9. Oktober 1930«
in: Dresdner Nachrichten, Jg. 75, Heft 478, Freitag, 10. Oktober 1930, Abend-Ausgabe, S. 2

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3b Salome (Weitere Fassungen)
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»Salome« neu einstudiert
Dresdner Opernhaus, am 9. Oktober

In zwei Monaten, am 9. Dezember 1930, werden 25 Jahre seit der denkwürdigen Dresdner Uraufführung der Straußschen »Salome« vergangen sein. Die damalige szenische Fassung ist bisher so gut wie unverändert geblieben. Das nahende Jubiläum legte aber nun doch den Gedanken einer neuen Ueberprüfung der Aufführung nahe, und so haben wir also »Salome« gestern mit dem Meister am Pulte als Neueinstudierung erlebt. Szenisch war aber im wesentlichen doch nur die alte Aufmachung wiedererstanden. Denn was Arthur Pältz, Georg Brandt und Leonhard Fanto an Bühnenbild und Trachten sehen ließen, wich vom seither Gewohnten nicht grundsätzlich ab. Grundriß und Aufbau der Dekoration waren sich ziemlich gleich geblieben, nur ein paar Linien erschienen vereinfacht, unnötiger Zierat war entfernt, dafür die Beleuchtungsstimmung noch etwas feiner und reicher differenziert und durch etwas lebhaftere Gewandungsfarben Belebung hereingebracht. Auch Otto Erhardts Spielleitung hatte Ueberliefertes bewahrt und nur unaufdringlich durch kleine Stellungsänderungen und szenische Bewegungen die Vorgänge weiter verdeutlicht, die Charaktere verschärft gekennzeichnet. So war also sozusagen der Jubiläumsstaub von der Vorstellung genommen, das alte historische Erinnerungsbild aber doch gewahrt. Und das war wohl ganz richtig so, denn es wäre schade gewesen, wenn die theatergeschichtlich interessante szenische Urfassung etwa einer vom Augenblicksgeschmack diktierten expressionistischen Mache – wie sie sich für »Salome« sehr wohl denken ließe – hätte weichen müssen.

Stärker verändert zeigte sich der musikalische Eindruck. Und zwar im Zusammenhang mit der Neubesetzung der Titelpartie. Für die Salome eine rechte Vertreterin zu finden, wird stets ein Problem bleiben. Dramatisch denkt man sich ein kleines, katzenhaft behendes, abgefeimt scharmantes Persönchen. Aber der Stil der Musik fordert eine Walkürenstimme, die dann doch gewöhnlich auch an die Walkürenerscheinung gebunden ist. Strauß selbst hat im Gegensatz zu seiner eigenen Musik immer heimliche Sehnsucht nach der »kleinen« Salome gehabt. Vor Jahren glaubte er einmal in der Amerikanerin Marcella Craft eine solche gefunden zu haben – man hat sie auch hier gastspielenderweise gehört –; aber die zarte Stimme hielt dem Orchestersturm nicht stand.

Nun schien in Maria Rajdl eine neue Vertreterin gleicher Art zur Verfügung zu stehen. Und diesmal wurde radikaler vorgegangen. Strauß lockerte die Instrumentation etwas auf, brachte kleine Striche an; wichtiger aber noch als diese an sich unbedeutenden Partiturretuschen: er selbst setzte sich ans Pult und dämpfte nun bei der gestrigen Aufführung sein Salomeorchester bis an die äußerste Grenze des dirigiertechnisch Erreichbaren ab. Nun drang tatsächlich die zarte silberne Stimme der »kleinen« Salome durch; – aber die Gesamtwirkung? Dem Meister selbst muß es ja wohl gefallen haben, denn sonst hätte er es nicht so gemacht; vielleicht klingt’s ihm, der mitten im Orchester sitzt, auch doch etwas anders. Draußen im Haus aber jedenfalls war mancher alte getreue Straußianer betrübt, den ganzen gewohnten Glanz und Schwung »seines« Salomeorchesters weggewischt zu finden. Es war Musik ohne Leuchtkraft geworden. Musik, über die sich gleichsam ein Schleier breitete. Der vierzigjährige Richard Strauß hat eben seinerzeit die »Salome« nun einmal auf Klangekstase und Klangrausch angelegt. Dieses »Dicht- und Liebesfeuer« einfach auszulöschen, heißt doch beinahe dem Werk den eigentlichen Lebensfunken ausblasen.

Um auch Positives hervorzuheben: Natürlich sah Maria Rajdl als Salome nun entzückend aus. Eine bezwingende Grazie und Poesie lebte in ihrer bewegungstechnischen Ausdeutung des Tanzes. Ein Genuß für das Ohr war es, das, was man sonst oft nur als hysterischen Schrei vernommen hatte, nun auf klangedlen Kopfton gebracht zu hören, den Sprachgesang zu fast mozartischen Kantilenen gewandelt zu vernehmen. Aber selbst das Register dieser Vorzüge hat noch sein Loch: diesem kostbaren, vogelhaften Sopran fehlt die Sinnlichkeit, sie fehlt auch dem ganzen Wesen der Künstlerin. So erlebt man eine äußerst scharmante, liebenswürdige, kultivierte Salome, aber eine, die es im Grunde genommen dem Propheten Jochanaan an Kühlheit beinahe gleichtut, eine, der man die begehrenden Worte und triebhaften Handlungen einer Herodiastochter einfach nicht glaubt und nicht zutraut.

So bleibt auch nach dieser Besetzung das Problem der »kleinen« Salome immer noch ungelöst. Für den Augenblick aber wird unsere Aufführung auf ein [sic] Kompromiß zuzukommen haben. Sie wird der orchestralen Pracht der Salomemusik doch wieder etwas mutiger das Tor öffnen müssen, selbst auf die Gefahr hin, daß die eine oder andere Gesangsphrase der Heldin verlorengeht. Wenn diese sich dann dafür zu doch wenigstens etwas intensiverer Wärme fortreißen läßt, so ist wenig verloren und schon viel gewonnen.

Im übrigen ist die Besetzung unproblematisch und gut. Zumal, da für die schwierigste männliche Partie, den Herodes, ein so ausgezeichneter Charakterkünstler wie Fritz Soot (– leider ein Gast, da seit Vogelstroms Ausscheiden diese Art Tenor fehlt –) zur Verfügung steht. Seine Stimme, die sich zu heldisch männlichem Glanz gewendet hat, dringt mühelos durchs Orchester, dabei ist er ein ausgezeichneter Textsprecher und ein so modern empfindender Musiker, daß er völlig frei und unbehindert darstellerisch gestalten kann. So ersteht das Charakterbild des zerrütteten, hysterischen Despoten mit packender Schärfe und Lebendigkeit. Eugenie Burkhardt stellt ihm eine Herodias von imponierender Erscheinung und pompöser Klanggewalt zur Seite. Burg hat, wohl in Zusammenarbeit mit der neuen Regie, den Jochanaan aus dem Gleise mendelsohnschen [sic] Schöngesangs zur wirklich dramatisch ausgeprägten Charakterfigur gehoben: die beste Möglichkeit, dieser musikalisch schwach geratenen Gestalt die ihr gebührende Bedeutung zu sichern. Eine schöne kriegerische Erscheinung mit ein paar jugendlich heldischen Tönen gibt Lorenz als Narraboth, dem Martha Fuchs als Page mit vollem satten Altregister sekundiert. Ausgezeichnet ausgearbeitet, sowohl musikalisch wie in der Bewegungsgliederung, wirkte das Judenquintett (Teßmer, Eybisch, Schmalnauer, Lange, Ermold), und in der Episode der beiden Nazarener erfreute man sich erneut der schönen jungen Stimmen von Kurt Böhme und Rudolf Dittrich.

Einen hübschen, fast feierlichen Anblick bot das elegante, dichtbesetzte Haus. Man bekommt richtig wieder Mut und Zutrauen, wenn man so an zwei Abenden hintereinander – bei Furtwängler und bei Strauß – sieht, daß doch auch unserer Gesellschaft die Kunst noch Ereignis werden kann. Meister Richard Strauß wurde natürlich herzlich gefeiert, wie sich das auch nicht anders gebührt, selbst wenn einmal nicht alles ganz im Lote ist.

Bemerkung

Trotz entsprechender Nachforschungen konnten weder Nachfahren noch sonstige Rechtsnachfolger von Eugen Schmitz ausfindig gemacht werden. Sachdienliche Hinweise hierzu nimmt die Forschungsstelle Richard-Strauss-Ausgabe gerne entgegen.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42658 (Version 2021‑09‑29).

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