Ein neuer Richard Strauß im philharmonischen Konzert. Die symphonische Dichtung »Macbeth« entstammt der Periode des »Don Juan«. Es ist die Zeit von Strauß’ junger Liebe zu einem Orchester, das dichtet und malt und bald auch philosophieren soll. Liszt, Wagner, Berlioz geben die Grundfarbe, und Richard Strauß selbst setzt von seinem glühenden Rot zu. Noch ist die motivische Polyphonie nicht den letzten Uebertreibungen verfallen, und es fehlen die Ausschreitungen realistischer Nachahmung. »Don Juan« steht uns zu höchst unter diesen Werken; in »Macbeth« aber muß man den Vorzug eines einheitlichen, charaktervollen Festhaltens der Stiimmung [sic] schätzen, das die Schilderung vor Zersplitterung in Details bewahrt. Der eigentlichen Musiksubstanz wird weder besondere Kraft oder Neuheit noch tieferer Gefühlswert zuzuerkennen sein, der tragische Grundton wird von einer Fanfare bestritten, deren Quarten und Quinten ihre Herkunft aus der Neunten nicht verleugnen. Am meisten straußisch scheint das Thema des »Macbeth«: Weite Intervallensprünge, lebhafte rhythmische Gebärde, Tonfolgen, die sprechen wollen. Lady Macbeth muß sich mit Ringmotiv‑Terzen begnügen, wenn sie Macbeths Gier nach dem goldenen Reif der Majestät erregt. Es kommt zu düsteren, unheimlich wilden Zusammenballungen der Motive; die auf Shakespeares Drama hingelenkte Phantasie mag darin Keimen und Verwirklichung grauenhafter Entschlüsse, wie die Schauer des Gewissens nach vollbrachter Tat, erkennen. Ein Aeußerlich‑Theatralisches vermag aber diese geistvolle Schildermusik nie ganz abzuschütteln. Unter Felix Mottl glänzend gespielt, hat die Novität Beifall gefunden. Diesem aufgeregten Nachtstück ging ein gar friedliches voran, ein Notturno von Mozart, und man muß sagen, daß der Gegensatz denn doch zu grell war. […]
Korngold, Julius
[ohne Titel]
in: Neue Freie Presse, Heft 14844, Montag, 18. Dezember 1905, Abendblatt, Rubrik »Feuilleton / Theater- und Kunstnachrichten«, S. 10
relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth
Wien, 18. Dezember.
[Musik vom Sonntag.]