Im Odeon zu München dirigierte Richard Strauß seinen »Macbeth« und »Also sprach Zarathustra«. Die erstere ungemein stimmungskräftige und farbenreiche Tondichtung repräsentiert recht eigentlich den entscheidenden Wendepunkt in der so folgenreichen inneren Wandlung, die aus dem von Bülow protegierten ehemaligen Brahmsianer und angehenden Komponisten »klassizistischer« Richtung den heutigen radikalen Fortschrittler und musikalischen Umsturzmann gemacht hat, dem es fast vorbehalten zu sein scheint, das Prinzip der Programmmusik selbst ad absurdum zu führen, – was allerdings gegen die Richtigkeit, bezw. Fruchtbarkeit dieses Prinzips kaum etwas beweisen würde: denn bekanntlich giebt es auf dem Gebiete der Kunst so wenig als sonst irgendwo auch nur ein einziges Prinzip, das dagegen gefeit wäre, durch »konsequente«, d. h. einseitige Verfolgung einmal ad absurdum geführt zu werden: hat doch Alles auf der Welt seine zwei Seiten! – Schon in dieser Beziehung, als Dokument jener für die Entwickelung des Künstlers so wichtigen Epoche ist der »Macbeth« von dem allergrößten Interesse. Stilistisch und auch durch das Orchestergewand, in dem er sich wenigstens jetzt präsentiert – das Werk wurde nachträglich einer Um‑Instrumentierung unterzogen –, gehört der »Macbeth« schon ganz der späteren Periode Strauß’ an, während die Melodik noch sehr deutlich Brahmsische Einflüsse verrät. Nicht verschweigen will ich, daß das Zarathustra‑Werk unter der Leitung des Komponisten in vielen Teilen doch wesentlich anders, d. h. vor allen Dingen deutlicher herauskam, als voriges Jahr unter Fischer. Freilich an meinem damals in diesen Blättern ausgesprochenen Gesamturteil konnte der nun gewonnene klarere Eindruck nicht allzuviel ändern. Höchstens das ließe sich einräumen: ich war jetzt, da ich durch den Komponisten mit unzweifelhafter Gewißheit erfuhr, was er künstlerisch wollte und worauf es ihm ankam, im stande, von dem Werke einen vielleicht nicht ganz reinen, aber doch großen, jedenfalls gegen früher mächtig gesteigerten Genuß zu haben, indem ich mich darauf beschränkte, seine Töne rein musikalisch, ja ich möchte trotz der scheinbaren Paradoxie sagen: als absolute Musik in mich aufzunehmen, ohne mich weiter um die Programm‑Velleitäten zu bekümmern, deren Berücksichtigung meines Erachtens ein wirkliches intuitiv‑künstlerisches Gefühlsverständnis dieser Tondichtung nur erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Denn als »Programmmusik« ist und bleibt der »Zarathustra« für mein Empfinden nun einmal durchaus verfehlt, ja geradezu unmöglich, weil ich eben nicht umhin kann, aus meiner Auffassung des zugrunde liegenden dichterisch‑philosophischen Vorwurfes heraus immer etwas ganz anderes zu erwarten, als was der Komponist giebt, – und gar als musikalische Interpretation Nietzscheschen »Geistes« ist der Straußsche Zarathustra ganz einfach ein »Mißverständnis«, in demselben Sinne und kaum minder groß, als es Nietzsche selbst einmal Schumann in betreff der Musik zu Byron’s »Manfred« vorgeworfen hat. Ich glaube daher, daß man das »frei nach Nietzsche« auf dem Titel des Straußschen Werkes nicht stark genug betonen kann. Nietzsche hat den Tondichter zum Schaffen angeregt; was liegt schließlich daran, wie er diese Anregung verstanden hat. Werden wir doch auch nicht etwa mit Goethes Fausttragödie im Kopfe an Berlioz’ »Damnation de Faust« herangehen. Lassen wir daher lieber den Philosophen ganz aus dem Spiele, und wir werden den Musiker, wenn nicht gerechter würdigen, so doch auf alle Fälle besser und weniger voreingenommen genießen können. Und was er uns zu sagen hat, ist doch wahrlich nichts so ganz Geringes! –
Louis, Rudolf
»Richard Strauß’ ›Macbeth‹ und ›Zarathustra‹«
in: Blätter für Haus- und Kirchenmusik, Jg. 4, Heft 6, Freitag, 1. Juni 1900, Rubrik »Lose Blätter«, S. 90
relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth
Richard Strauß’ »Macbeth« und »Zarathustra«.