Schucht, J.
[ohne Titel]
in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 88, Jg. 59, Heft 45, Mittwoch, 9. November 1892, Rubrik »Concertaufführungen in Leipzig«, S. 504–505

relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth

Der hiesige Liszt‑Verein hat seinen Concertcyclus am 29. October würdig begonnen. Sein erstes Concert gestaltete er zur »Nachfeier des goldenen Hochzeitstages Ihrer Königlichen Hoheiten des Großherzogs Carl Alexander und der Großherzogin Sophie von Sachsen.« Weimar’s Fürstenhaus hat seit anderthalb Jahrhunderten so segensreich für die Kunst gewirkt, daß man es in ganz Deutschland dankbar anerkennt. Da auch der jetzt regierende Großherzog gleich seinen Ahnen Kunst und Wissenschaft protegirt und auch den Lisztverein mit seinem Protectorat beehrt, so war es Pflicht des letzteren, auch der fürstlichen Jubiläumsfeier zu gedenken. Ein von dem Dramaturgen des hiesigen Stadttheaters Herrn Crome‑Schwiening verfaßter und von Frau Wicke‑Halberstadt aus Weimar gesprochener Prolog gedachte in trefflichen Worten der hohen Verdienste des Weimarischen Fürstenhauses um deutsche Kunst und Cultur, was auch vom Publikum durch allseitigen Beifall anerkannt wurde. Herr Hofcapellmeister Strauß aus Weimar hatte die musikalische Leitung übernommen und führte uns seine symphonische Dichtung Macbeth vor.

Shakespeare’s Drama bietet so viel malerische Scenen und Stimmungsbilder, die schon frühere Tondichter zu Compositionen animirt haben. Ein solch umfangreiches Tongemälde, wie Strauß’ Werk hat aber noch Keiner geschaffen. Beim Anhören dieses Tondramas wurden wir sehr deutlich an die verschiedenen Auftritte und Scenen der Dichtung erinnert. Gleich Anfangs zogen die drei Hexen auf öder grauer Haide einher, Macbeth and Banquo das Königthum verkündend. Dann der greuelvolle Königsmord. Ich glaube auch, des ermordeten Banquo Geist erschien. Soweit war mir Alles klar und verständlich. Trompetensignale kündeten die wichtigsten Auftritte an. Als aber der »Wald von Birnam« mit Englands gewaltigem Heere sich nahte, da begann ein solch’ kolossales Schlachtgetümmel, worin weder Freund noch Feind zu erkennen war. Dieser Schlachten‑Part mit seinem Tonwirrwarr dürfte wohl am wenigsten Zustimmung finden. Doch der Höllenlärm verzog sich und das Tongemälde schloß in Frieden. Dem genialen Autor wurden nicht endenwollende Beifallsbezeigungen nebst einem Lorbeerkranz dargebracht. Zeigte sich Strauß schon in seiner Tondichtung als feuriger, belebender Dirigent, so noch ganz besonder’s in Liszt’s Faust‑Symphonie, die er mit der Capelle des 134. Regiments, der hiesigen Liedertafel und Herrn Opernsänger Merkel zu höchst vortrefflicher Aufführung brachte und abermals einen Beifallssturm erregte.

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verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42615 (Version 2018‑01‑26).