Im ersten Konzert des Liszt‑Vereins kam zum erstenmal zur Aufführung die symphonische Dichtung: »Macbeth« von Richard Strauß und fand unter der Leitung des Komponisten eine befriedigende Wiedergabe und freundliche Aufnahme. Wirklich musikalische Essenz vermochten wir freilich hier nur in höchst spärlichen Portionen zu entdecken: das anhaltende furchtbare Getöse in allen Gruppen des Orchesters raubt dem Hörer zuletzt allen klaren Ueberblick und die Redensart, nicht zu wissen, was gehauen oder gestochen ist, wird dabei eine nackte Wahrheit für den, der so gern sich über den eigentlichen Inhalt und dessen formalen Aufbau vergewissern möchte. Das Wort des seligen Moritz Hauptmann bei Gelegenheit der Durchsicht der Ouvertüre eines Schülers, der gleichfalls ihr den Titel »Macbeth« gegeben, fällt mir dabei unwillkürlich ein. Es lautete: »Sie hätten, junger Mann, den Titel zu Ihrer Ouvertüre aus einem anderen shakespeareschen Stück sich wählen und es bezeichnen sollen als ›Viel Lärm um nichts‹.« Der Begriff »symphonische Dichtung« muß mehr und mehr den Kredit verlieren und zur Karikatur herabsinken, wenn sie immer nur zum Gefäß inhaltsloser Widersinnigkeiten dienen soll.
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Vogel, Bernhard
[ohne Titel]
in: Neue Musik-Zeitung, Bd. 23, Jg. 13, 1892, Rubrik »Konzertneuheiten«, S. 268
relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth
Leipzig.