Dokumentation Gesangstexte
Salome op. 54
Deutsche Fassung

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome
Edierter Gesangstext
Erste Szene
Die Bühne stellt eine grosse Terrasse im Palast des Herodes, die an den Bankettsaal stösst, dar. Einige Soldaten lehnen sich über die Brüstung.
Rechts eine mächtige Treppe, links im Hintergrunde eine alte Cisterne mit einer Einfassung aus grüner Bronze. Der Mond scheint sehr hell.
Narraboth
Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!
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Sieh’ die Mondscheibe, wie sie seltsam aussieht. Wie eine Frau, die aufsteigt aus dem Grab.
Narraboth
Sie ist sehr seltsam. Wie eine kleine Prinzessin, deren Füsse weisse Tauben sind. Man könnte meinen, sie tanzt.
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Wie eine Frau, die tot ist. Sie gleitet langsam dahin.
(Lärm im Bankettsaal)
1. Soldat
Was für ein Aufruhr! Was sind das für wilde Tiere, die da heulen?
2. Soldat
Die Juden. (trocken) Sie sind immer so. Sie streiten über ihre Religion.
1. Soldat
Ich finde es lächerlich, über solche Dinge zu streiten.
Narraboth
(warm)
Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Abend!
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(unruhig)
Du siehst sie immer an. Du siehst sie zu viel an. Es ist gefährlich, Menschen auf diese Art anzusehn. Schreckliches kann geschehn.
Narraboth
Sie ist sehr schön heute Abend.
1. Soldat
Der Tetrarch sieht finster drein.
2. Soldat
Ja, er sieht finster drein.
1. Soldat
Auf wen blickt er?
2. Soldat
Ich weiss nicht.
Narraboth
Wie blass die Prinzessin ist. Niemals habe ich sie so blass gesehn. Sie ist wie der Schatten einer weissen Rose in einem silbernen Spiegel.
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(sehr unruhig)
Du musst sie nicht ansehn. Du siehst sie zu viel an. Schreckliches kann geschehn.
Stimme des Jochanaan
(aus der Cisterne)
Nach mir wird Einer kommen, der ist stärker als ich. Ich bin nicht wert, ihm zu lösen den Riemen an seinen Schuhn. Wenn er kommt, werden die verödeten Stätten frohlocken. Wenn er kommt, werden die Augen der Blinden den Tag sehn, wenn er kommt, die Ohren der Tauben geöffnet.
2. Soldat
Heiss ihn schweigen!
1. Soldat
Er ist ein heilger Mann.
2. Soldat
Er sagt immer lächerliche Dinge.
1. Soldat
Er ist sehr sanft. Jeden Tag, den ich ihm zu essen gebe, dankt er mir.
Kappadokier
Wer ist es?
1. Soldat
Ein Prophet.
Kappadokier
Wie ist sein Name?
1. Soldat
Jochanaan.
Kappadokier
Woher kommt er?
1. Soldat
Aus der Wüste. Eine Schar von Jüngern war dort immer um ihn.
Kappadokier
Wovon redet er?
1. Soldat
Unmöglich ist’s, zu verstehn, was er sagt.
Kappadokier
Kann man ihn sehn?
1. Soldat
Nein, der Tetrarch hat es verboten.
Narraboth
(sehr erregt)
Die Prinzessin erhebt sich! Sie verlässt die Tafel. Sie ist sehr erregt. Sie kommt hierher.
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Sieh sie nicht an!
Narraboth
Ja, sie kommt auf uns zu.
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Ich bitte dich, sieh sie nicht an!
Narraboth
Sie ist wie eine verirrte
Zweite Szene
Taube.
Salome
(tritt erregt ein)
Ich will nicht bleiben. Ich kann nicht bleiben. Warum sieht mich der Tetrarch fortwährend so an mit seinen Maulwurfsaugen unter den zuckenden Lidern? Es ist seltsam, dass der Mann meiner Mutter mich so ansieht. Wie süss ist hier die Luft. Hier kann ich atmen … Da drinnen sitzen Juden aus Jerusalem, die einander über ihre närrischen Gebräuche in Stücke reissen … Schweigsame, listge Egypter … Und brutale, ungeschlachte Römer mit ihrer plumpen Sprache … O, wie ich diese Römer hasse!
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(zu Narraboth)
Schreckliches wird geschehn. Warum siehst du sie so an?
Salome
Wie gut ist’s, in den Mond zu sehn. Er ist wie eine silberne Blume, kühl und keusch. Ja, wie die Schönheit einer Jungfrau, die rein geblieben ist …
Stimme des Jochanaan
Siehe, der Herr ist gekommen, des Menschen Sohn ist nahe.
Salome
Wer war das, der hier gerufen hat?
2. Soldat
Der Prophet, Prinzessin.
Salome
Ach, der Prophet. Der, vor dem der Tetrarch Angst hat?
2. Soldat
Wir wissen davon nichts, Prinzessin. Es war der Prophet Jochanaan, der hier rief.
Narraboth
(zu Salome)
Beliebt es Euch, dass ich Eure Sänfte holen lasse, Prinzessin? Die Nacht ist schön im Garten …
Salome
Er sagt schreckliche Dinge über meine Mutter, nicht wahr?
2. Soldat
Wir verstehen nie, was er sagt, Prinzessin.
Salome
Ja, er sagt schreckliche Dinge über sie.
Ein Sklave
(eintretend)
Prinzessin, der Tetrarch ersucht Euch, wieder zum Fest hineinzugehn.
Salome
(heftig)
Ich will nicht hineingehn.
(Sklave ab)
Salome
Ist dieser Prophet ein alter Mann?
Narraboth
(dringender)
Prinzessin, es wäre besser hineinzugehn. Gestattet, dass ich Euch führe!
Salome
(gesteigert)
Ist dieser Prophet ein alter Mann?
1. Soldat
Nein, Prinzessin, er ist ganz jung.
Stimme des Jochanaan
Jauchze nicht, du Land Palästina, weil der Stab dessen, der dich schlug, gebrochen ist. Denn aus dem Samen der Schlange wird ein Basilisk kommen, und seine Brut wird die Vögel verschlingen.
Salome
Welch’ seltsame Stimme! Ich möchte mit ihm sprechen …
2. Soldat
Prinzessin, der Tetrarch duldet nicht, dass irgendwer mit ihm spricht. Er hat selbst dem Hohepriester verboten, mit ihm zu sprechen.
Salome
Ich wünsche, mit ihm zu sprechen.
2. Soldat
Es ist unmöglich, Prinzessin.
Salome
(immer heftiger)
Ich will mit ihm sprechen … Bringt diesen Propheten heraus!
2. Soldat
Wir dürfen nicht, Prinzessin.
Salome
(tritt an die Cisterne heran und blickt hinunter)
Wie schwarz es da drunten ist! Es muss schrecklich sein, in so einer schwarzen Höhle zu leben … Es ist wie eine Gruft … (wild) Habt Ihr nicht gehört? Bringt den Propheten heraus! Ich möchte ihn sehn!
1. Soldat
Prinzessin, wir dürfen nicht tun, was Ihr von uns begehrt.
Salome
(erblickt Narraboth)
Ah!
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O, was wird geschehn? Ich weiss, es wird Schreckliches geschehn.
Salome
(tritt an Narraboth heran)
(leise und lebhaft sprechend)
Du wirst das für mich tun, Narraboth, nicht wahr? Ich war dir immer gewogen. Du wirst das für mich tun. Ich möchte ihn blos [sic] sehn, diesen seltsamen Propheten. Die Leute haben so viel von ihm gesprochen. Ich glaube, der Tetrarch hat Angst vor ihm.
Narraboth
Der Tetrarch hat es ausdrücklich verboten, dass irgendwer den Deckel zu diesem Brunnen aufhebt.
Salome
Du wirst das für mich tun, Narraboth, (sehr hastig) und morgen, wenn ich in einer Sänfte an dem Torweg, wo die Götzenbilder stehn, vorbeikomme, werde ich eine kleine Blume für dich fallen lassen, ein kleines, grünes Blümchen.
Narraboth
Prinzessin, ich kann nicht, ich kann nicht.
Salome
(bestimmter)
Du wirst das für mich tun, Narraboth. Du weisst, dass du das für mich tun wirst. Und morgen früh werde ich unter den Muss’linschleiern dir einen Blick zuwerfen, Narraboth, ich werde dich ansehn, kann sein, ich werde dir zulächeln. Sieh mich an, Narraboth, sieh mich an. Ah, wie gut du weisst, dass du tun wirst, um was ich dich bitte. Wie du es weisst! (stark) Ich weiss, du wirst das tun!
Narraboth
(gibt den Soldaten ein Zeichen)
Lasst den Propheten herauskommen … die Prinzessin Salome wünscht ihn zu sehn.
Salome
Ah!
(Der Prophet kommt aus der Cisterne.)
Dritte Szene
(Salome, in seinen Anblick versunken, weicht langsam vor ihm zurück.)
Jochanaan
(stark)
Wo ist er, dessen Sündenbecher jetzt voll ist? Wo ist er, der eines Tages im Angesicht alles Volkes in einem Silbermantel sterben wird? Heisst ihn herkommen, auf dass er die Stimme Dessen höre, der in der Wüste und in den Häusern der Könige gekündet hat.
Salome
Von wem spricht er?
Narraboth
Niemand kann es sagen, Prinzessin.
Jochanaan
Wo ist sie, die sich hingab der Lust ihrer Augen, die gestanden hat vor buntgemalten Männerbildern und Gesandte in’s Land der Chaldäer schickte?
Salome
(tonlos)
Er spricht von meiner Mutter.
Narraboth
(hastig)
Nein, nein, Prinzessin.
Salome
(matt)
Ja, er spricht von meiner Mutter.
Jochanaan
Wo ist sie, die den Hauptleuten Assyriens sich gab? Wo ist sie, die sich den jungen Männern der Egypter gegeben hat, die in feinem Leinen und Hyacinthgesteinen prangen, deren Schilde von Gold sind und die Leiber wie Riesen? Geht, heisst sie aufstehn vom Bett ihrer Greuel, vom Bett ihrer Blutschande, auf dass sie die Worte Dessen vernehme, der dem Herrn die Wege bereitet, und ihre Missetaten bereue. Und wenn sie gleich nicht bereut, heisst sie herkommen, denn die Geißel des Herrn ist in seiner Hand.
Salome
Er ist schrecklich. Er ist wirklich schrecklich.
Narraboth
Bleibt nicht hier, Prinzessin, ich bitte Euch!
Salome
Seine Augen sind von allem das Schrecklichste. Sie sind wie die schwarzen Höhlen, wo die Drachen hausen! Sie sind wie schwarze Seen, aus denen irres Mondlicht flackert. Glaubt ihr, daß er noch einmal sprechen wird?
Narraboth
(immer aufgeregter)
Bleibt nicht hier, Prinzessin, ich bitte Euch, bleibt nicht hier!
Salome
Wie abgezehrt er ist! Er ist wie ein Bildnis aus Elfenbein. Gewiss ist er keusch wie der Mond. Sein Fleisch muss sehr kühl sein, kühl wie Elfenbein. Ich möchte ihn näher besehn.
Narraboth
Nein, nein, Prinzessin.
Salome
Ich muß ihn näher besehn.
Narraboth
Prinzessin, Prinzessin.
Jochanaan
Wer ist dies Weib, das mich ansieht? Ich will ihre Augen nicht auf mir haben. Warum sieht sie mich so an mit ihren Goldaugen unter den gleissenden Lidern? Ich weiss nicht, wer sie ist. Ich will nicht wissen, wer sie ist. Heisst sie gehn! Zu ihr will ich nicht sprechen.
Salome
Ich bin Salome, die Tochter der Herodias, Prinzessin von Judäa.
Jochanaan
Zurück, Tochter Babylons! Komm dem Erwählten des Herrn nicht nahe! Deine Mutter hat die Erde erfüllt mit dem Wein ihrer Lüste, und das Unmass ihrer Sünden schreit zu Gott.
Salome
Sprich mehr, Jochanaan, deine Stimme ist wie Musik in meinen Ohren.
Narraboth
Prinzessin, Prinzessin, Prinzessin.
Salome
Sprich mehr, sprich mehr, Jochanaan, und sag’ mir, was ich tun soll?
Jochanaan
Tochter Sodoms, komm mir nicht nahe! Vielmehr bedecke dein Gesicht mit einem Schleier, streue Asche auf deinen Kopf, mach’ dich auf in die Wüste und suche des Menschen Sohn!
Salome
Wer ist das, des Menschen Sohn? Ist er so schön wie du, Jochanaan?
Jochanaan
Weiche von mir! Ich höre die Flügel des Todesengels im Palaste rauschen …
Salome
Jochanaan!
Narraboth
Prinzessin, ich flehe, geh’ hinein!
Salome
Jochanaan! Ich bin verliebt in deinen Leib, Jochanaan! Dein Leib ist weiss wie die Lilien auf einem Felde[,] von der Sichel unberührt. Dein Leib ist weiss wie der Schnee auf den Bergen Judäas. Die Rosen im Garten von Arabiens Königin sind nicht so weiss wie dein Leib. Nicht die Rosen im Garten der Königin, nicht die Füsse der Dämmerung auf den Blättern, nicht die Brüste des Mondes auf dem Meere, nichts in der Welt ist so weiss wie dein Leib. Lass mich ihn berühren, deinen Leib.
Jochanaan
Zurück, Tochter Babylons! Durch das Weib kam das Übel in die Welt. Sprich nicht zu mir. Ich will dich nicht anhör’n! Ich höre nur auf die Stimme des Herrn, meines Gottes.
Salome
Dein Leib ist grauenvoll. Er ist wie der Leib eines Aussätzigen. Er ist wie eine getünchte Wand, wo Nattern gekrochen sind, wie eine getünchte Wand, wo Skorpione ihr Nest gebaut. Er ist wie ein übertünchtes Grab voll widerlicher Dinge. Er ist grässlich, dein Leib ist grässlich. In dein Haar bin ich verliebt, Jochanaan. Dein Haar ist wie Weintrauben, wie Büschel schwarzer Trauben an den Weinstöcken Edoms. Dein Haar ist wie die Cedern, die grossen Cedern vom Libanon, die den Löwen und Räubern Schatten spenden. Die langen schwarzen Nächte, wenn der Mond sich verbirgt, wenn die Sterne bangen, sind nicht so schwarz wie dein Haar. Des Waldes Schweigen … Nichts in der Welt ist so schwarz wie dein Haar. Lass mich es berühren, dein Haar.
Jochanaan
Zurück, Tochter Sodoms! Berühre mich nicht! Entweihe nicht den Tempel des Herrn, meines Gottes!
Salome
Dein Haar ist grässlich! Es starrt von Staub und Unrat. Es ist wie eine Dornenkrone auf deinen Kopf gesetzt. Es ist wie ein Schlangenknoten gewickelt um deinen Hals. Ich liebe dein Haar nicht. (mit höchster Leidenschaft) Deinen Mund begehre ich, Jochanaan. Deinen Mund begehre ich, Jochanaan. Dein Mund ist wie ein Scharlachband an einem Turm von Elfenbein. Er ist wie ein Granatapfel, von einem Silbermesser zerteilt. Die Granatapfelblüten in den Gärten von Tyrus, glüh’nder als Rosen, sind nicht so rot. Die roten Fanfaren der Trompeten, die das Nah’n von Kön’gen künden und vor denen der Feind erzittert, sind nicht so rot wie dein roter Mund. Dein Mund ist röter als die Füsse der Männer, die den Wein stampfen in der Kelter. Er ist röter als die Füsse der Tauben, die in den Tempeln wohnen. Dein Mund ist wie ein Korallenzweig in der Dämmrung des Meers, wie der Purpur in den Gruben von Moab, der Purpur der Könige … (ausser sich) Nichts in der Welt ist so rot wie dein Mund. Lass mich ihn küssen, deinen Mund.
Jochanaan
(leise, in tonlosem Schauder)
Niemals, Tochter Babylons, Tochter Sodoms … Niemals!
Salome
Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan. Ich will deinen Mund küssen …
Narraboth
(in höchster Angst und Verzweiflung)
Prinzessin, Prinzessin, die wie ein Garten von Myrrhen ist, die die Taube aller Tauben ist, sieh diesen Mann nicht an. Sprich nicht solche Worte zu ihm. Ich kann es nicht ertragen …
Salome
Ich will deinen Mund küssen, Jochanaan. Ich will deinen Mund küssen …
(Narraboth ersticht sich und fällt tot zwischen Salome und Jochanaan.)
Salome
Lass mich deinen Mund küssen, Jochanaan.
Jochanaan
Wird dir nicht bange, Tochter der Herodias?
Salome
Lass mich deinen Mund küssen, Jochanaan.
Jochanaan
Tochter der Unzucht, es lebt nur Einer, der dich retten kann. Geh, such’ ihn. Such’ ihn! (mit grösster Wärme) Er ist in einem Nachen auf dem See von Galiläa und redet zu seinen Jüngern. (sehr feierlich) Knie nieder am Ufer des Sees, ruf ihn an und rufe ihn beim Namen. Wenn er zu dir kommt, und er kommt zu allen, die ihn rufen, dann bücke dich zu seinen Füssen, dass er dir deine Sünden vergebe.
Salome
(wie verzweifelt)
Lass mich deinen Mund küssen, Jochanaan.
Jochanaan
Sei verflucht, Tochter der blutschänderischen Mutter. Sei verflucht.
Salome
Lass mich deinen Mund küssen, Jochanaan.
Jochanaan
Ich will dich nicht ansehn. Du bist verflucht, Salome. Du bist verflucht. Du bist verflucht. Du bist verflucht.
(Er geht wieder in die Cisterne hinab.)
Vierte Szene
(Herodes tritt rasch ein, gefolgt von Herodias.)
Herodes
Wo ist Salome? Wo ist die Prinzessin? Warum kam sie nicht wieder zum Bankett, wie ich ihr befohlen hatte? Ah! Da ist sie!
Herodias
Du sollst sie nicht ansehn. Fortwährend siehst du sie an!
Herodes
Wie der Mond heute Nacht aussieht! Ist es nicht ein seltsames Bild? Es sieht aus wie ein wahnwitziges Weib, das überall nach Buhlen sucht … wie ein betrunkenes Weib, das durch Wolken taumelt …
Herodias
Nein, der Mond ist wie der Mond, das ist alles. Wir wollen hineingehn.
Herodes
Ich will hier bleiben. Manasseh, leg Teppiche hierher! Zündet Fackeln an! Ich will noch Wein mit meinen Gästen trinken! Ah! Ich bin ausgeglitten. Ich bin in Blut getreten, das ist ein böses Zeichen. Warum ist hier Blut? Und dieser Tote? Wer ist dieser Tote hier? Wer ist dieser Tote? Ich will ihn nicht sehn.
1. Soldat
Es ist unser Hauptmann, Herr.
Herodes
Ich erliess keinen Befehl, dass er getötet werde.
1. Soldat
Er hat sich selbst getötet, Herr.
Herodes
Das scheint mir seltsam. Der junge Syrier, er war sehr schön. Ich erinnre mich, ich sah seine schmachtenden Augen, wenn er Salome ansah. Fort mit ihm.
(Sie tragen den Leichnam weg.)
Es ist kalt hier. Es weht ein Wind … Weht nicht ein Wind?
Herodias
(trocken)
Nein, es weht kein Wind.
Herodes
Ich sage euch: es weht ein Wind, und in der Luft hör ich etwas wie das Rauschen von mächtgen Flügeln … Hört ihr es nicht?
Herodias
Ich höre nichts.
Herodes
Jetzt höre ich es nicht mehr. Aber ich habe es gehört, es war das Wehn des Windes. Es ist vorüber. Horch! Hört ihr es nicht? Das Rauschen von mächtgen Flügeln …
Herodias
Du bist krank, wir wollen hineingehn.
Herodes
Ich bin nicht krank. Aber deine Tochter ist krank zu Tode. Niemals hab’ ich sie so blass gesehn –
Herodias
Ich habe dir gesagt, du sollst sie nicht ansehn.
Herodes
Schenkt mir Wein ein! Salome, komm, trink Wein mit mir, einen köstlichen Wein, Cäsar selbst hat ihn mir geschickt. Tauche deine kleinen Lippen hinein[,] deine kleinen roten Lippen, dann will ich den Becher leeren.
Salome
Ich bin nicht durstig, Tetrarch.
Herodes
Hörst du, wie sie mir antwortet, diese deine Tochter?
Herodias
Sie hat recht. Warum starrst du sie immer an?
Herodes
Bringt reife Früchte! Salome, komm, iss mit mir von diesen Früchten. Den Abdruck deiner kleinen, weissen Zähne in einer Frucht seh’ ich so gern. Beiss nur ein wenig ab – nur ein wenig von dieser Frucht – dann will ich essen, was übrig ist.
Salome
Ich bin nicht hungrig, Tetrarch.
Herodes
Du siehst, wie du diese deine Tochter erzogen hast!
Herodias
Meine Tochter und ich stammen aus königlichem Blut. Dein Vater war Kameltreiber, dein Vater war ein Dieb und ein Räuber obendrein.
Herodes
Salome, komm, setz dich zu mir. Du sollst auf dem Thron deiner Mutter sitzen.
Salome
Ich bin nicht müde, Tetrarch.
Herodias
Du siehst, wie sie dich achtet.
Herodes
Bringt mir – Was wünsche ich denn? Ich habe es vergessen. Ah! Ah! Ich erinnre mich –
Stimme des Jochanaan
Sieh, die Zeit ist gekommen, der Tag, von dem ich sprach, ist da.
Herodias
Heiss’ ihn schweigen! Dieser Mensch beschimpft mich!
Herodes
Er hat nichts gegen dich gesagt. Überdies ist er ein sehr grosser Prophet.
Herodias
Ich glaube nicht an Propheten. Aber du, du hast Angst vor ihm!
Herodes
Ich habe vor niemandem Angst.
Herodias
Ich sage dir, du hast Angst vor ihm. Warum lieferst du ihn nicht den Juden aus, die seit Monaten nach ihm schreien?
1. Jude
Wahrhaftig, Herr, es wäre besser, ihn in unsre Hände zu geben.
Herodes
Genug davon! Ich werde ihn nicht in eure Hände geben. Er ist ein heil’ger Mann. Er ist ein Mann, der Gott geschaut hat.
1. Jude
Das kann nicht sein. Seit dem Propheten Elias hat niemand Gott gesehn. Er war der letzte, der Gott von Angesicht geschaut. In unsren Tagen zeigt sich Gott nicht. Gott verbirgt sich. Darum ist grosses Übel über das Land gekommen – grosses Übel.
2. Jude
In Wahrheit weiss niemand, ob Elias in der Tat Gott gesehen hat. Möglicherweise war es nur der Schatten Gottes, was er sah.
3. Jude
Gott ist zu keiner Zeit verborgen. Er zeigt sich zu allen Zeiten und an allen Orten. Gott ist im Schlimmen ebenso wie im Guten.
4. Jude
Du solltest das nicht sagen, es ist eine sehr gefährliche Lehre aus Alexandria. Und die Griechen sind Heiden.
5. Jude
Niemand kann sagen, wie Gott wirkt. Seine Wege sind sehr dunkel. Wir können nur unser Haupt unter seinen Willen beugen, denn Gott ist sehr stark.
1. Jude
Du sagst die Wahrheit. Fürwahr, Gott ist furchtbar. Aber was diesen Menschen angeht, der hat Gott nie gesehn. Seit dem Propheten Elias hat niemand Gott gesehn. Er war der letzte, er war der letzte, der Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut. In unsren Tagen zeigt sich Gott nicht. Gott verbirgt sich. Gott verbirgt sich. Darum ist grosses Übel über das Land gekommen. Darum ist grosses Übel über das Land gekommen. Darum ist grosses Übel, grosses Übel über das Land gekommen. Er war der letzte, der Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut. Er war der letzte, der Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut. Er war der letzte, der Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut. Er war der letzte, der Gott von Angesicht zu Angesicht geschaut.
2. Jude
In Wahrheit weiss niemand, ob Elias in der Tat Gott gesehen hat. Gott gesehen hat. Möglicherweise war es nur der Schatten, möglicherweise, möglicherweise war es nur der Schatten Gottes, was er sah. In Wahrheit weiss niemand, ob Elias auch wirklich Gott gesehen hat. Gott ist furchtbar, er bricht den Starken in Stücke, den Starken wie den Schwachen, denn jeder gilt ihm gleich. Möglicherweise war es nur der Schatten Gottes …
3. Jude
Gott ist zu keiner Zeit verborgen. Er zeigt sich zu allen Zeiten. Er zeigt sich an allen Orten. Gott ist im Schlimmen ebenso wie im Guten. Gott ist zu keiner Zeit verborgen. Gott ist zu keiner Zeit verborgen. Gott zeigt sich zu allen Zeiten und an allen Orten. Gott ist im Guten ebenso wie im Bösen …
4. Jude
(zum dritten)
Du solltest das nicht sagen – es ist eine sehr gefährliche Lehre aus Alexandria. Und die Griechen sind Heiden. Sie sind nicht einmal beschnitten. Die Griechen sind Heiden, sie sind nicht einmal beschnitten. Niemand kann sagen, wie Gott wirkt, denn Gott ist sehr stark. Niemand kann sagen, wie Gott wirkt. Gott ist sehr stark. Er bricht den Starken wie den Schwachen in Stücke. Gott ist stark.
5. Jude
Niemand kann sagen, wie Gott wirkt. Seine Wege sind sehr dunkel. Niemand kann sagen, wie Gott wirkt, seine Wege sind sehr dunkel. Es kann sein, dass die Dinge, die wir gut nennen, sehr schlimm sind, und die Dinge, die wir schlimm nennen, sehr gut sind. Wir wissen von nichts etwas. Wir wissen von nichts etwas, von nichts etwas …
Herodias
(zu Herodes)
(heftig)
Heiss sie schweigen. Sie langweilen mich!
Herodes
Doch hab’ ich davon sprechen hören, Jochanaan sei in Wahrheit euer Prophet Elias.
1. Jude
Das kann nicht sein, seit den Tagen des Propheten Elias sind mehr als dreihundert Jahre vergangen.
Ein Nazarener
Mir ist sicher, dass er der Prophet Elias ist.
2. Jude
Keineswegs, er ist nicht der Prophet Elias.
3. Jude
Keineswegs, er ist nicht der Prophet Elias.
1. Jude
Das kann nicht sein. Seit den Tagen des Propheten Elias sind mehr als dreihundert Jahre vergangen …
5. Jude
Keineswegs, er ist nicht der Prophet Elias.
4. Jude
Keineswegs, er ist nicht der Prophet Elias.
Herodias
Heiss sie schweigen!
Stimme des Jochanaan
Siehe, der Tag ist nahe, der Tag des Herrn, und ich höre auf den Bergen die Schritte Dessen, der sein wird der Erlöser der Welt.
Herodes
Was soll das heissen, der Erlöser der Welt?
1. Nazarener
(emphatisch)
Der Messias ist gekommen.
1. Jude
(schreiend)
Der Messias ist nicht gekommen.
1. Nazarener
Er ist gekommen, und allenthalben tut er Wunder. (sehr ruhig) Bei einer Hochzeit in Galiläa hat er Wasser in Wein verwandelt. Er heilte zwei Aussätzige von Capernaum.
2. Nazarener
Durch blosses Berühren!
1. Nazarener
Er hat auch Blinde geheilt. Man hat ihn auf einem Berge im Gespräch mit Engeln gesehn!
Herodias
Oho! Ich glaube nicht an Wunder, ich habe ihrer zu viele gesehn!
1. Nazarener
Die Tochter des Jairus hat er von den Toten erweckt.
Herodes
(erschreckt)
Wie, er erweckt die Toten?
1. / 2. Nazarener
Jawohl. Er erweckt die Toten.
Herodes
Ich verbiete ihm, das zu tun. Es wäre schrecklich, wenn die Toten wiederkämen! Wo ist der Mann zur Zeit?
1. Nazarener
Herr, er ist überall, aber es ist schwer, ihn zu finden.
Herodes
Der Mann muss gefunden werden.
2. Nazarener
Es heisst, in Samaria weile er jetzt.
1. Nazarener
Vor ein paar Tagen verliess er Samaria, ich glaube, im Augenblick ist er in der Nähe von Jerusalem.
Herodes
So hört: Ich verbiete ihm, die Toten zu erwecken! Es müsste schrecklich sein, wenn die Toten wiederkämen!
Stimme des Jochanaan
O über dieses geile Weib, die Tochter Babylons. So spricht der Herr, unser Gott:
Herodias
(wütend)
Befiehl ihm, er soll schweigen.
Stimme des Jochanaan
Eine Menge Menschen wird sich gegen sie sammeln, und sie werden Steine nehmen und sie steinigen!
Herodias
Wahrhaftig, es ist schändlich!
Stimme des Jochanaan
Die Kriegshauptleute werden sie mit ihren Schwertern durchbohren, sie werden sie mit ihren Schilden zermalmen!
Herodias
Er soll schweigen, er soll schweigen!
Stimme des Jochanaan
Es ist so, dass ich alle Verruchtheit austilgen werde, dass ich alle Weiber lehren werde, nicht auf den Wegen ihrer Greuel zu wandeln!
Herodias
Du hörst, was er gegen mich sagt, du duldest es, dass er die schmähe, die dein Weib ist.
Herodes
Er hat deinen Namen nicht genannt.
Stimme des Jochanaan
(sehr feierlich)
Es kommt ein Tag, da wird die Sonne finster werden wie ein schwarzes Tuch. Und der Mond wird werden wie Blut, und die Sterne des Himmels werden zur Erde fallen wie unreife Feigen vom Feigenbaum. Es kommt ein Tag, wo die Kön’ge der Erde erzittern.
Herodias
Haha! Dieser Prophet schwatzt wie ein Betrunkener … aber ich kann den Klang seiner Stimme nicht ertragen, ich hasse seine Stimme. Befiehl ihm, er soll schweigen.
Herodes
Tanz für mich, Salome.
Herodias
(heftig)
Ich will nicht haben, dass sie tanzt.
Salome
(ruhig)
Ich habe keine Lust, zu tanzen, Tetrarch.
Herodes
Salome, Tochter der Herodias, tanz für mich!
Salome
Ich will nicht tanzen, Tetrarch.
Herodias
Du siehst, wie sie dir gehorcht.
Stimme des Jochanaan
(mächtig)
Er wird auf seinem Throne sitzen, er wird gekleidet sein in Scharlach und Purpur. Und der Engel des Herrn wird ihn darnieder schlagen. Er wird von den Würmern gefressen werden.
Herodes
Salome, Salome, tanz für mich, ich bitte dich. Ich bin traurig heute Nacht, drum tanz für mich. Salome, tanz für mich! Wenn du für mich tanzest, kannst du von mir begehren, was du willst. Ich werde es dir geben.
Salome
(aufstehend)
Willst du mir wirklich alles geben, was ich von dir begehre, Tetrarch?
Herodias
Tanze nicht, meine Tochter!
Herodes
Alles, alles, was du von mir begehren wirst, und wär’s die Hälfte meines Königreichs.
Salome
Du schwörst es, Tetrarch?
Herodes
Ich schwör es, Salome.
Salome
Wobei willst du das beschwören, Tetrarch?
Herodes
Bei meinem Leben, bei meiner Krone, bei meinen Göttern.
Herodias
Tanze nicht, meine Tochter!
Herodes
O Salome, Salome, tanz für mich.
Salome
Du hast einen Eid geschworen, Tetrarch.
Herodes
Ich habe einen Eid geschworen.
Herodias
Meine Tochter, tanze nicht.
Herodes
Und wärs die Hälfte meines Königreichs. Du wirst schön sein als Königin, unermesslich schön. (erschauernd) Ah, es ist kalt hier. Es weht ein eis’ger Wind, und ich höre … Warum höre ich in der Luft dieses Rauschen von Flügeln? Ah! Es ist doch so, als ob ein ungeheurer, schwarzer Vogel über der Terrasse schwebte? Warum kann ich ihn nicht sehn, diesen Vogel? Dieses Rauschen ist schrecklich. Es ist ein schneidender Wind. Aber nein, er ist nicht kalt, er ist heiss. Giesst mir Wasser über die Hände, gebt mir Schnee zu essen, macht mir den Mantel los. Schnell, schnell, macht mir den Mantel los! Doch nein! Lasst ihn! Dieser Kranz drückt mich. Diese Rosen sind wie Feuer. (Er reisst sich das Kranzgewinde ab und wirft es auf den Tisch.) Ah! Jetzt kann ich atmen. Jetzt bin ich glücklich – (matt) Willst du für mich tanzen, Salome?
Herodias
Ich will nicht haben, dass sie tanze!
Salome
Ich will für dich tanzen.
(Sklavinnen bringen Salben und die sieben Schleier und nehmen Salome die Sandalen ab.)
Stimme des Jochanaan
Wer ist Der, der von Edom kommt, wer ist Der, der von Bozra kommt, dessen Kleid mit Purpur gefärbt ist, der in der Schönheit seiner Gewänder leuchtet, der mächtig in seiner Grösse wandelt, warum ist dein Kleid mit Scharlach gefleckt?
Herodias
Wir wollen hineingehn. Die Stimme dieses Menschen macht mich wahnsinnig. (immer heftiger) Ich will nicht haben, dass meine Tochter tanzt, während er immer dazwischen schreit. Ich will nicht haben, dass sie tanzt, während du sie auf solche Art ansiehst. Mit einem Wort: ich will nicht haben, dass sie tanzt.
Herodes
Steh nicht auf, mein Weib, meine Königin. Es wird dir nichts helfen, ich gehe nicht hinein, bevor sie getanzt hat. Tanze, Salome, tanz für mich!
Herodias
Tanze nicht, meine Tochter!
Salome
Ich bin bereit, Tetrarch.
Salomes Tanz
(Die Musikanten beginnen einen wilden Tanz.)
(Salome noch bewegungslos)
(Jetzt richtet sich Salome hoch auf und gibt den Musikanten ein Zeichen, worauf der wilde Rhythmus sofort abgedämpft wird und in eine sanft wiegende Weise überleitet.)
(Salome tanzt den Tanz der sieben Schleier.)
(Salome scheint einen Augenblick zu ermatten, jetzt rafft sie sich wie neubeschwingt auf.)
(Salome verweilt einen Augenblick in visionärer Haltung an der Cisterne, in der Jochanaan gefangen gehalten wird, – dann stürzt sie vor und zu Herodes’ Füssen.)
Herodes
Ah! Herrlich! Wundervoll, wundervoll! (zu Herodias) Siehst du, sie hat für mich getanzt, deine Tochter. Komm her, Salome, komm her, du sollst deinen Lohn haben. Ich will dich königlich belohnen. Ich will dir alles geben, was dein Herz begehrt. Was willst du haben? Sprich!
Salome
(süss)
Ich möchte, dass sie mir gleich in einer Silberschüssel …
Herodes
In einer Silberschüssel – gewiss doch – in einer Silberschüssel … Sie ist reizend, nicht? Was ist’s, das du in einer Silberschüssel haben möchtest, o süsse, schöne Salome, du, die schöner ist als alle Töchter Judäas? Was sollen sie dir in einer Silberschüssel bringen? Sag es mir! Was es auch sein mag, du sollst es erhalten. Meine Reichtümer gehören dir. Was ist es, das du haben möchtest, Salome?
(Salome steht auf.)
Salome
(lächelnd)
Den Kopf des Jochanaan.
Herodes
(fährt auf)
Nein, nein.
Herodias
Ah! Das sagst du gut, meine Tochter, das sagst du gut!
Herodes
Nein, nein, Salome; das ist es nicht, was du begehrst. Hör’ nicht auf die Stimme deiner Mutter. Sie gab dir immer schlechten Rat. Achte nicht auf sie.
Salome
Ich achte nicht auf die Stimme meiner Mutter. Zu meiner eignen Lust will ich den Kopf des Jochanaan in einer Silberschüssel haben. Du hast einen Eid geschworen, Herodes. Du hast einen Eid geschworen, vergiss das nicht!
Herodes
(hastig)
Ich weiss, ich habe einen Eid geschworen. Ich weiss es wohl. Bei meinen Göttern habe ich geschworen. Aber ich beschwöre dich, Salome, verlange etwas andres von mir. Verlange die Hälfte meines Königreichs. Ich will sie dir geben. Aber verlange nicht von mir, was deine Lippen verlangten.
Salome
(stark)
Ich verlange von dir den Kopf des Jochanaan.
Herodes
Nein, nein, ich will ihn dir nicht geben.
Salome
Du hast einen Eid geschworen, Herodes.
Herodias
Ja, du hast einen Eid geschworen. Alle haben es gehört.
Herodes
Still, Weib, zu dir spreche ich nicht.
Herodias
Meine Tochter hat recht daran getan, den Kopf des Jochanaan zu verlangen. Er hat mich mit Schimpf und Schande bedeckt. Man kann sehn, dass sie ihre Mutter liebt. Gib nicht nach, meine Tochter, gib nicht nach. Er hat einen Eid geschworen.
Herodes
Still, sprich nicht zu mir! Salome, ich beschwöre dich: Sei nicht trotzig. Sieh, ich habe dich immer lieb gehabt! Kann sein, ich habe dich zu lieb gehabt. Darum verlange das nicht von mir. Der Kopf eines Mannes, der vom Rumpf getrennt ist, ist ein übler Anblick. Hör’, was ich sage! Ich habe einen Smaragd. Er ist der schönste Smaragd der ganzen Welt. Den willst du haben, nicht wahr? Verlang’ ihn von mir, ich will ihn dir geben, den schönsten Smaragd.
Salome
Ich fordre den Kopf des Jochanaan.
Herodes
Du hörst nicht zu, du hörst nicht zu. Lass mich zu dir reden, Salome!
Salome
Den Kopf des Jochanaan.
Herodes
Das sagst du nur, um mich zu quälen, weil ich dich so angeschaut habe. Deine Schönheit hat mich verwirrt. Oh! Oh! Bringt Wein! Mich dürstet. Salome, Salome, lass uns wie Freunde zueinander sein! Bedenk’ dich! Ah! Was wollt ich sagen? Was war’s? … Ah! Ich weiss es wieder! … Salome, du kennst meine weissen Pfauen, meine schönen, weissen Pfauen, die im Garten zwischen den Myrten wandeln. Ich will sie dir alle, alle geben. In der ganzen Welt lebt kein König, der solche Pfauen hat. Ich habe bloss hundert. Aber alle will ich dir geben.
Salome
Gib mir den Kopf des Jochanaan!
Herodias
Gut gesagt, meine Tochter! (zu Herodes) Und du, du bist lächerlich mit deinen Pfauen.
Herodes
Still, Weib! Du kreischest wie ein Raubvogel. Deine Stimme peinigt mich. Still, sag’ ich dir. Salome, bedenk, was du tun willst. Es kann sein, dass der Mann von Gott gesandt ist. Er ist ein heilger Mann. Der Finger Gottes hat ihn berührt. Du möchtest nicht, dass mich ein Unheil trifft, Salome? Hör’ jetzt auf mich!
Salome
Ich will den Kopf des Jochanaan.
Herodes
(auffahrend)
Ach! Du willst nicht auf mich hören. Sei ruhig, Salome. Ich – siehst du, bin ruhig. Höre: (leise und heimlich) Ich habe an diesem Ort Juwelen versteckt, Juwelen, die selbst deine Mutter nie gesehen hat. Ich habe ein Halsband mit vier Reihen Perlen, Topase, gelb wie die Augen der Tiger. Topase, hellrot wie die Augen der Waldtaube, und grüne Topase, wie Katzenaugen. Ich habe Opale, die immer funkeln, mit einem Feuer, kalt wie Eis. Ich will sie dir alle geben, alle. (immer aufgeregter) Ich habe Chrysolithe und Berylle, Chrysoprase und Rubine. Ich habe Sardonyx- und Hyacinthsteine und Steine von Chalcedon. Ich will sie dir alle geben, alle und noch andre Dinge. Ich habe einen Krystall, in den zu schaun keinem Weibe vergönnt ist. In einem Perlenmutterkästchen habe ich drei wunderbare Türkise; wer sie an seiner Stirne trägt, kann Dinge sehn, die nicht wirklich sind. Es sind unbezahlbare Schätze. Was begehrst du sonst noch, Salome? Alles, was du verlangst, will ich dir geben, nur eines nicht. Nur nicht das Leben dieses einen Mannes. Ich will dir den Mantel des Hohenpriesters geben. Ich will dir den Vorhang des Allerheiligsten geben …
Die Juden
Oh, oh, oh!
Salome
(wild)
Gib mir den Kopf des Jochanaan!
(Herodes sinkt verzweifelt auf seinen Sitz zurück.)
Herodes
(matt)
Man soll ihr geben, was sie verlangt! Sie ist in Wahrheit ihrer Mutter Kind.
(Herodias zieht dem Tetrarchen den Todesring vom Finger und gibt ihn dem ersten Soldaten, der ihn auf der Stelle dem Henker überbringt.)
Herodes
Wer hat meinen Ring genommen?
(Der Henker geht in die Cisterne hinab.)
Herodes
Ich hatte einen Ring an meiner rechten Hand. Wer hat meinen Wein getrunken? Es war Wein in meinem Becher. Er war mit Wein gefüllt. Es hat ihn jemand ausgetrunken. (leise) Oh! Gewiss wird Unheil über einen kommen.
Herodias
Meine Tochter hat recht getan!
Herodes
Ich bin sicher, es wird ein Unheil geschehn.
(Salome an der Cisterne lauschend)
Salome
Es ist kein Laut zu vernehmen. Ich höre nichts. Warum schreit er nicht, der Mann? Ah! Wenn einer mich zu töten käme, ich würde schreien, ich würde mich wehren, ich würde es nicht dulden! … Schlag’ zu, schlag’ zu, Naaman, schlag’ zu, sag’ ich dir … Nein, ich höre nichts. (gedehnt) Es ist eine schreckliche Stille! Ah! Es ist etwas zu Boden gefallen. Ich hörte etwas fallen. Es war das Schwert des Henkers. Er hat Angst, dieser Sklave. Er hat das Schwert fallen lassen! Er traut sich nicht, ihn zu töten. Er ist eine Memme, dieser Sklave. Schickt Soldaten hin! (zum Pagen) Komm hierher, du warst der Freund dieses Toten, nicht? Wohlan, ich sage dir: es sind noch nicht genug Tote. Geh zu den Soldaten und befiehl ihnen, hinabzusteigen und mir zu holen, was ich verlange, was der Tetrarch mir versprochen hat, was mein ist! Hierher, ihr Soldaten, geht ihr in die Cisterne hinunter und holt mir den Kopf des Mannes! (schreiend) Tetrarch, Tetrarch, befiehl deinen Soldaten, dass sie mir den Kopf des Jochanaan holen!
(Ein riesengrosser, schwarzer Arm, der Arm des Henkers, streckt sich aus der Cisterne heraus, auf einem silbernen Schild den Kopf des Jochanaan haltend, Salome ergreift ihn.)
Salome
Ah! Du wolltest mich nicht deinen Mund küssen lassen, Jochanaan. Wohl, ich werde ihn jetzt küssen! Ich will mit meinen Zähnen hineinbeissen, wie man in eine reife Frucht beissen mag. Ja, ich will ihn jetzt küssen, deinen Mund, Jochanaan. Ich hab’ es gesagt. Hab’ ich’s nicht gesagt? Ja, ich hab’ es gesagt. Ah! Ah! Ich will ihn jetzt küssen … Aber warum siehst du mich nicht an, Jochanaan? Deine Augen, die so schrecklich waren, so voller Wut und Verachtung, sind jetzt geschlossen. Warum sind sie geschlossen? Öffne doch die Augen, erhebe deine Lider, Jochanaan! Warum siehst du mich nicht an? Hast du Angst vor mir, Jochanaan, dass du mich nicht ansehen willst? Und deine Zunge, sie spricht kein Wort, Jochanaan, diese Scharlachnatter, die ihren Geifer gegen mich spie. Es ist seltsam, nicht? Wie kommt es, dass diese rote Natter sich nicht mehr rührt? Du sprachst böse Worte gegen mich, gegen mich, Salome, die Tochter der Herodias, Prinzessin von Judäa. Nun wohl! Ich lebe noch, aber du bist tot, und dein Kopf, dein Kopf gehört mir. Ich kann mit ihm tun, was ich will. Ich kann ihn den Hunden vorwerfen und den Vögeln der Luft. Was die Hunde übrig lassen, sollen die Vögel der Luft verzehren … Ah! Ah! Jochanaan, Jochanaan, du warst schön. Dein Leib war eine Elfenbeinsäule auf silbernen Füssen. Er war ein Garten voller Tauben in der Silberlilien Glanz. Nichts in der Welt war so weiss wie dein Leib. Nichts in der Welt war so schwarz wie dein Haar. In der ganzen Welt war nichts so rot wie dein Mund. Deine Stimme war ein Weihrauchgefäss, und wenn ich dich ansah, hörte ich geheimnissvolle [sic] Musik …
(Salome in den Anblick von Jochanaans Haupt versunken)
Oh! Warum hast du mich nicht angesehn, Jochanaan? Du legtest über deine Augen die Binde Eines, der seinen Gott schauen wollte. Wohl! Du hast deinen Gott gesehn, Jochanaan, aber mich, mich, mich hast du nie gesehn. Hättest du mich gesehn, du hättest mich geliebt! Ich dürste nach deiner Schönheit. Ich hungre nach deinem Leib. Nicht Wein noch Äpfel können mein Verlangen stillen … Was soll ich jetzt tun, Jochanaan? Nicht die Fluten, noch die grossen Wasser können dieses brünstige Begehren löschen … Oh! Warum sahst du mich nicht an? Hättest du mich angesehn, du hättest mich geliebt. Ich weiss es wohl, du hättest mich geliebt. Und das Geheimnis der Liebe ist grösser als das Geheimnis des Todes …
Herodes
(leise zu Herodias)
Sie ist ein Ungeheuer, deine Tochter. Ich sage dir, sie ist ein Ungeheuer!
Herodias
(stark)
Meine Tochter hat recht getan. Ich möchte jetzt hierbleiben.
Herodes
Ah! Da spricht meines Bruders Weib. (schwächer) Komm, ich will nicht an diesem Orte bleiben. (heftig) Komm, sag’ ich dir. Sicher, es wird Schreckliches geschehn. Wir wollen uns im Palast verbergen, Herodias, ich fange an, zu erzittern …
(Der Mond verschwindet.)
(auffahrend) Manasseh, Issachar, Ozias, löscht die Fackeln aus. Verbergt den Mond, verbergt die Sterne!
(Es wird ganz dunkel.)
Es wird Schreckliches geschehn …
Salome
(matt)
Ah! Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan. Ah! Ich habe ihn geküsst, deinen Mund, es war ein bitterer Geschmack auf deinen Lippen – Hat es nach Blut geschmeckt? Nein! Doch es schmeckte vielleicht nach Liebe … Sie sagen, dass die Liebe bitter schmecke … Allein was tut’s? Was tut’s? Ich habe deinen Mund geküsst, Jochanaan. Ich habe ihn geküsst, deinen Mund.
(Der Mond bricht wieder hervor und beleuchtet Salome.)
Herodes
(sich umwendend)
Man töte dieses Weib!
(Die Soldaten stürzen sich auf Salome und begraben sie unter ihren Schilden.)
(Der Vorhang fällt schnell.)
verantwortlich für diesen Datensatz: Claudia Heine

Quellennachweis

Edierter Gesangstext
Richard Strauss: Salome op. 54: Deutsche Fassung, hrsg. von Claudia Heine und Salome Reiser †, Wien: Verlag Dr. Richard Strauss 2019 (= Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe, I/3a)
Textvorlage bei Komposition
Salome, Tragoedie in einem Akt von Oscar Wilde, Übertragung von Hedwig Lachmann, Zeichnungen von Marcus Behmer, Leipzig: Insel-Verlag 1903 (Richard-Strauss-Archiv, Signatur TrV_215_q00520, Handexemplar Richard Strauss)
Textbuch
Salome: Drama in einem Aufzuge nach Oskar Wilde’s gleichnamiger Dichtung in deutscher Übersetzung von Hedwig Lachmann: Musik von Richard Strauss, Berlin: Adolph Fürstner 1905 (Bayerische Staatsbibliothek, Signatur St.th.1319,12,1, Exemplar gestempelt als Nr. 6)

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/t10413 (Version 2019‑05‑27).