Werke für ein Streichinstrument und Klavier
Geleitwort

Roswitha Schlötterer-Traimer † gewidmet


Roswitha Schlötterer-Traimer und Reinhold Schlötterer begründeten im Jahr 1977 mit der Richard-Strauss-Arbeitsgruppe am Institut für Musikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität die universitäre Strauss-Forschung in München.


Geleitwort

Wer kann sich heute noch vorstellen, in welchem Umfang seinerzeit der Alltag des Gymnasiasten Richard Strauss – der Name damals noch »Strauß« geschrieben – von Musik bestimmt war? Da gab es zunächst einmal den vom Vater organisierten regelmäßigen Unterricht in Klavier- und Violinspiel, naturgemäß verbunden mit den unausweichlichen Übestunden, und von Anfang an ergänzt durch gemeinsames Musizieren im Familien- und Freundeskreis. Dann auch Studien in den verschiedenen Disziplinen der Musiktheorie, wobei anscheinend auf »Contrapunkt« mehr als üblich geachtet wurde und Instrumentation sehr früh und intensiv zur Geltung kam – kein Wunder im Hause eines versierten Orchestermusikers (Solohorn, Bratsche), Instrumentenkenners und Orchesterleiters (Laienorchester »Wilde Gungl«). Regelmäßige Konzert-und Opernbesuche auf Stehplätzen waren eine Selbstverständlichkeit; im Briefwechsel mit seinem Jugendfreund Ludwig Thuille berichtete Richard ausführlich darüber, begeistert oder ablehnend, beinahe wie ein Musikkritiker. Vor allem aber war er, nicht von außen angetrieben sondern aus innerer »Leidenschaft«, geradezu besessen aufs Komponieren aus; er verpasste keine Gelegenheit, wo er irgend jemandem, sei es im Familienkreis (z. B. Lieder für seine Tante Johanna Pschorr), sei es darüber hinaus, etwas widmen konnte, oder er komponierte einfach für sich selbst. Das Handwerkliche, vom zweihändigen Klaviersatz und der klavierbegleiteten Singstimme bis hin zum Bläserensemble und der großen Orchesterpartitur, fiel ihm offenkundig so leicht, dass der Vater ihn zur Zurückhaltung ermahnen musste: ›nicht alles, was einem gerade einfalle, sei auch wert, niedergeschrieben zu werden‹. Zu fragen wäre bei all dem freilich genauerhin, ob, wo, wann und wie sich in den niedergeschriebenen Noten, über das bloß Schulmäßige und Handwerkliche hinaus, auch bereits Individuelles, eine persönliche und eigenständige Schreibart bemerkbar machen konnte.

Verständlicherweise konnte neben der Beschäftigung mit Musik der offizielle Schulbesuch nur eine sekundäre Rolle spielen – ein schwacher Schüler war Richard aber keinesfalls –, und selbst im Schulbetrieb schrieb er manchmal, wenn ihm der Unterricht gerade langweilig wurde, statt Mathematikformeln Notenköpfe in die Hefte oder auf den Umschlag. Durch die persönlichen Kontakte seines Vaters lernte er nebenher auch so wichtige »Größen« des Münchner Musiklebens wie etwa den Komponisten Joseph Rheinberger (Leiter der Münchner Musikschule) oder den Dirigenten Hermann Levi (musikalischer Leiter der Münchner Hofoper) persönlich kennen – und sie ihn, als einen talentierten jungen Musiker, von dem man sich vielleicht zukünftig noch einiges erwarten dürfte.

In diese Welt eines frühen Musikerlebens und Musikschaffens führt uns der vorliegende Editionsband der Kritischen Ausgabe der Werke von Richard Strauss. Herausgegeben sind dabei die Kammermusik-Kompositionen für Streichinstrument und Klavier (Violine/Klavier oder Violoncello/Klavier) des fünfzehn- bis dreiundzwanzigjährigen Musikers, ergänzt und kontrastiert durch eine ganz kurze »Handgelenksübung«, ein Allegretto des vierundachtzigjährigen, nach seinem eigentlichen Lebenswerk nun wieder auf »freie« Instrumentalmusik zurückgreifenden Strauss. Ein in der Ausgabe nur als Faksimile wiedergegebenes, zudem fragmentarisches Moderato zeigt einen noch ganz kindlichen Satzversuch des Neunjährigen, immerhin schon als Duo von Violine und Klavier angelegt, und eine fünfstimmige Fuge (1880) gibt einen Einblick in die kontrapunktischen Ambitionen des jungen Musikers, ist aber wohl auch für eine Aufführung, wiederum mit Violine und Klavier, gedacht. Tragende Pfeiler und Höhepunkt des Bandes sind dank ihrer Werkhaftigkeit die Klavier/Violoncello-Sonate (op. 6) in zwei Fassungen – die Urfassung bisher ungedruckt – und die Violine/Klavier-Sonate (op. 18), die als ein »Nachzügler« in eine eigentlich schon anders determinierte Schaffensperiode hineinragt. Diese beiden Werke haben es auch von Anfang an bis heute geschafft, sich im bevorzugten Repertoire des Konzertlebens zu behaupten.

Neben der praktischen Bedeutung einer jetzt kritisch gesicherten und ergänzten Notengrundlage für Aufführungen ist der Band ebenso geeignet und willkommen als Einladung zu einem allgemeinen Nachdenken über die frühe Schaffenszeit eines jungen, schon sehr bald durch seine Tondichtungen Furore machenden Komponisten.

München, November 2019

Reinhold Schlötterer

Verfasser: Reinhold Schlötterer

Erstmals veröffentlicht in

Richard Strauss: Werke für ein Streichinstrument und Klavier, hrsg. von Florence Eller, Andreas Pernpeintner und Stefan Schenk, Wien: Verlag Dr. Richard Strauss 2019 (= Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe, VI/4)

Zitierempfehlung

Reinhold Schlötterer: Geleitwort, in: Richard Strauss: Werke für ein Streichinstrument und Klavier, hrsg. von Florence Eller, Andreas Pernpeintner und Stefan Schenk, 2019 (= Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe, VI/4), richard‑strauss‑ausgabe.de/b38524/gw (Version 2019)

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