Lieber Richard!
Dein Brief hat uns sehr erfreut und interessirt, besonders aber Ritter, wegen der Leipziger Lisztverein Geschichte. Sollte also von dort Dir der Antrag gemacht werden, so bitte ich Dich, nichts zu unternehmen ohne vorher Dich mit Bronsart besprochen zu haben, ob er damit einverstanden ist, überhaupt nichts ohne seinen Rath zu unternehmen, denn er kann als Mann von großen Erfahrungen, der Dir ja so gewogen ist, nur das Gute und Richtige anrathen. Zugleich bitte ich Dich mit bewegtem Herzen, seine leisen Tadel in Betreff der Bülowschen Aufführung der Pastoralsinfonie, zu beherzigen. Bronsart hat ganz richtig herausgefunden, daß, trotz vieler Vortrefflichkeiten Bülow’s, er doch sehr oft über das wahrhaft Schöne und Richtige, in der Ausführung unserer klassischen Meisterwerke hinaus gegangen ist, und dadurch Verzerrungen sich einschlichen, welche aber so manche Werke, ohne sie zu schädigen, nicht ertragen. Bei neuen Werken, die ja ohnehin schon darauf angelegt sind, ist das ja eine ganz andre Sache, aber bei Werken älterer Meister, welche streng auf Rÿthmus und genaues Takthalten gesehen haben, ist es ein musikalisches Verbrechen, wenn man so willkürlich mit ihnen verfährt. Es bleibt noch genug für einen Dirigenten zu thun übrig, wenn er nur dem gerecht, was sie verlangen.
[1v] In keinem Deiner Briefe schreibst Du uns etwas, was Bronsart zu Don Juan gesagt hat, ob er sich überhaupt darüber ausgesprochen hat. Sehr erfreut waren wir auch über Deine Nachricht, daß Spitzweg das Werk druckt, und doch ein Honorar zahlt wovon man sprechen kann, aber vermuthlich wirst Du noch einen 4händigen Klavierauszug zu machen haben. Nah! Guten Appetit.
Mit Ritter war ich gestern und vorgestern beim Wein beisam̅en, am ersten Tag war auch Thuille und der Sekretär der Musikschule da, und gestern kam Frln. Else Ritter um ihren Papa abzuholen, wir haben viel von Weimar und Dir gesprochen.
Sehr erstaunt war ich aus Deinem Brief das Wort »leider« zu lesen, welches Du angewendet hast, als Bülow von Wohlklang in »Tod und Verklärung« sprach. Ich begreife Dich nicht. Du sprichst in dem Brief eine Seite vorher, daß der »Don Juan« zauberhaft geklungen habe. Zauberhaft ja kann ja nur etwas klingen, was schön klingt, also warum sich selbst belügen, wenn man in Wirklichkeit selbst dem Wohlklang huldigt. Also lieber Richard sei klug, und [2r] schneide Dir nicht, gegen Dein besseres Ich, ins eigene Fleisch. Das Unschöne muss ja nur bestehen, damit das Schöne schön ist, aber es darf ja nicht zur Hauptsache gemacht werden.
Sehr angenehm ist mir auch, das Du Dein Werk in Berlin selbst dirigen [sic] kannst, wenn es nur auch in Dresden der Fall wäre, auch fürchte ich das Schuch nicht damit fertig wird.
Hast Du von Paur in Leipzig keine Nachrichten? Wird er nicht gekränkt sein, wenn man ihn nicht zum Vorstand des Lisztvereins wählt? Da es doch sein Vorgänger Nikisch war.
Hast Du von Meiningen keine Nachrichten, ob man dort den Don Juan aufführen will?
In keinem Deiner Briefe hast Du mir etwas über die Weimaraner Orchestermitglieder geschrieben. […]
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[2v] […]
Lieber Richard! Lebe wohl! Sei herzlich gegrüßt von
Deinem Papa.
[Johanna von Rauchenberger:] […]