Brief
Franz Strauß an Richard Strauss
Mittwoch, 4. März 1891, München

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan

[1r]

Lieber Richard!

gestern ist nun »Don Juan« glücklich vom Stappel gelaufen. Hanna hat Dir darüber getreulich und treffend berichtet. Ich war Abends nicht im Concert, denn ich habe die Aufregung, die ich verwinden muß, gefürchtet. Tante Johanna, Onkel Georg, Mama, Hanna und ich waren in der Hauptprobe, in welcher Don Juan zweimal durchgespielt wurde. Anwesend waren noch in [der] Probe Herr und Frau Kapellmeister Maier, Ritter und sein Sohn, Thuille, Borges [?], Göring, Zenger, der falsche Giesel, Dr. Solbrig [?] und der Saujude. Der Tante hat der Don Juan gefallen. Der Onkel hat beim ersten Male anhören gesagt, »es ist nicht meine Musik«, beim zweiten Male war sie ihm schon verständlicher und meinte, »er spüre schon daß ein großer Zug darin sei«, und als die Tante ihm die Sache erklärte, hat er sich vollständig zu Recht gefunden.

Ich habe Veranlassung genom̅en, persönlich Fischer und dem Orchester zu danken für ihre Bemühungen, ich weiß wohl, daß es im Grunde nicht nöthig gewesen wäre, aber es macht sich gut und kostet nichts. Fischer hat mich gebeten Dich zu grüßen. Er hat mit allem Fleiß und Mühen gethan was er zu thun im Stande ist, er war ein ehrlicher Kerl, und dafür hat er schon den Dank verdient. Zur Frau Kapellmeister Maier hat er gesagt, daß er jede freie viertel Stunde benützt, das Werk [1v] eingehend zu studiren, Perfall hat aber Sorge getragen, daß nicht die nöthigen Proben gehalten werden konnten, was ich aus Fischers kurzem Bemerken entnehmen konnte. Er hat mit dem Saujuden zusam̅en in der Zeit in der die Concertproben hätten sein sollen, 2 Siegfriedproben gehalten. Das ist wieder ächt Perfallisch. Leider steht sein baldiger Abgang nicht in Aussicht, da sich die edle Seele mit Freischlag jetzt so gut gestellt hat, daß er ihm [sic], in seinem Interesse, um jeden Preis als Intendanten halten wird, so viel ich aus sicherster Quelle erfahren habe, soll Freischlag sehr für Ballet !! eingenom̅en sein, und in Folge dessen ist der Balletmeister Fenzl pensionirt worden, und an seine Stelle trat die Ballettänzerin Frau Jungmann. Frau Meisenhaim soll, wie man sagt, sehr fleißig von Intendanz wegen besucht werden. Na, guten Appetit! – Das Theater wird gebraucht, mehreren Zwecken zu dienen, wenn es auch nicht im̅er künstlerische sind. – Doch genug von der Gemeinheit! –

Dein Don Juan hat mir sehr gefallen, abgesehen, daß ich ein Anhänger der Klassiker bin. – Es ist Selbständigkeit in dem Werke, ein großer Zug, eigene Erfindung, kein unsicheres umhertappen, es fehlt ihm auch die Form nicht, enthält Feuer und Schneid, ist mit allem Glanz instrumentirt, [2r] es sagt (in einer Beziehung) vollständig was es will, nur möchte ich glauben, daß etwas zu viel gedacht dabei ist, und der Empfindungswelt etwas mehr dürfte Rechnung getragen werden. Bei allen Deinen Sachen herrscht die Reflexion etwas stark vor, wenigstens so fühle ich im̅er. Bei Deinem großen Talent kannst Du leicht etwas von dem Verstande an die Gefühlswelt abgeben. Ich meine dabei nicht die Sentimentalität. – Das Werk ist furchtbar schwer, und wird nur von ganz guten Orchestern ausführbar sein! Ich glaube es könnte, ohne dem Werk zu schaden, manches leichter sein. Auch ist dem Beiwerke, das öfter die Hauptsache beeinträchtigt, etwas zu viel gethan, man sieht oft den Wald vor lauter Bäumen nicht recht. Denke Dir im̅er Du schreibst nicht für lauter Fachleute. Ich gestehe ganz offen, daß auch mir beim erstmaligen Anhören der Kopf ganz dick geworden ist, und erst beim zweiten Male konnte ich der Sache ganz folgen, trotzdem ich vorher die Partitur öfter genau durchgelesen habe. Nim̅ meinen wohlgemeinten Rath in Liebe auf.

Schließlich noch meinen herzlichen Glückwunsch!

Auf die Kritiken bin ich neugierig, besonders auf die vom Freistäbler, der nur für die Muttergottesmusik von Rheinberger schwärmt.

[2v] Nun lebe wohl lieber Richard, schreibe recht bald, und grüße alle Bekanndten herzlich von uns.

Es grüßt Dich mit nochmaligen Glückwunsch

Dein

Papa.

Nachtrag: Daß Dein Stück zu Anfang war, also am ungünstigsten Platz, daran ist Perfall schuld, der die triviale Tingltanglmusik zum Schluße der ersten Abtheilung um jeden Preis haben mußte. Ich habe das Stück – eine ächte Saumusik für blasirte Juden – in der Hauptprobe gehört, und war empört, daß man soetwas in einem Abonnementconcert im Odeon macht. Es ist bis zum Eckel raffinirt, ja so gar bis zum äußersten roh instrumentirt. Das Pfui Teufel! von [der] Gallerie herunter war ganz am rechten Platz.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: Richard-Strauss-Archiv (Garmisch-Partenkirchen), Signatur: [ELTERN AN RICHARD STRAUSS 1883–1902, Nr. 77] (Autograph) (Transkriptionsgrundlage)

    • Hände:

      • Franz Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: 2017-07-25

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 137–138.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d30592 (Version 2018‑07‑09).