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Lieber – nicht unruhig sein! […]
[9r]In Dresden habe ich mir zu Weihnachten die Strauss’sche Salome angesehen. Was hat man da gesündigt. Ich kann mir kaum brutalere Missverständnisse vorstellen auf der Bühne.
Nackte Nüchternheit – grobe Buntheit in allen Dingen.
Und die Musik war wie eine Wort[9v]übersetzerin. Nur ein paar Stellen glühten wirklich auf in echtem Feuer. Es waren alle Stellen, an denen die Bühnenvorgänge still hielten – jede Pause da oben wirkte wohltuend und erlösend.
Ich verstehe den Sinn einer Oper überhaupt nicht, wie diese.
[10r] Es kommt mir ganz unkünstlerisch vor. Wenn ich mich auf den ersten Eindruck der gelesenen Salome besinne – so war dieser so musikalisch und ich habe bei der Darstellung stets unter diesem ersten unerfüllt gebliebenen Gesicht gelitten. Ich kann [10v] mir die Salome so vollkom̅en in Musik aufgelöst denken – aber auch ganz in’s Wesen der Musik – und da oben auf der Bühne beinahe nur pantomimische Vorgänge dazu – überleitende, bildhafte, farbenübergossene Dinge. – Wenn ich doch je von einer Oper wirklich befriedigt [11r] würde – hier müssen bei mir Aufnahmemöglichkeiten fehlen. Fast Feindseligkeit spürte ich neulich gegen diese Oper. –
Auf Ihr Hiersein freue ich mich sehr – ich begegne Ihnen so gern auf allen Gängen im Theater – ich [11v] bin froh und gehoben – wenn ich Sie unten im Parquet weiss – ich mag Ihre präcise temperamentvolle Art der Discutierung über das Thema – ich fühle mich temperamentswohl bei Ihnen.
Kom̅en Sie dann [12r] nur so bald Sie können und es für gut halten – wir werden in 8 Tagen sicher schon ganz weit sein – so gerade für die letzten Mühelosigkeiten reif. –
Lieber Freund!
Ihre
GertrudEysoldt.