Brief
Richard Strauss an Franz Strauß
Samstag, 11. Januar 1890, Weimar

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan

[1r]

Lieber Papa!

Soeben zurückgekehrt, will ich Euch sofort über gestern berichten u. in erster Linie betonen, daß die Aufführung meine Erwartungen nach den Proben weit übertroffen hat. Sie war ausgezeichnet u. hat mir riesige Freude bereitet. Hagen hat sein möglichstes geleistet, die Tempi waren im Ganzen richtig, die Modificationen, die ich ihm angedeutet u. die er in den Proben, da er sie sich nur äußerlich aufgepfropft hatte u. sie ihm nicht aus der Überzeugung kommen, alle übertrieben hatte, waren Abends gemildert u. das Tempo leidlich einheitlich. Der Klang des herrlichen Orchesters war großartig u. alles kam mit einer Klarheit heraus, daß ich mich selbst über die nicht bloß glänzende, sondern wirklich gute Instrumentation freute. Der Erfolg war [1v] anständig, das Applaudiren ist in Dresden nicht Mode, es wurde nicht mehr u. nicht weniger geklatscht als nach der Beethovenschen Sinfonie; der Dirigent wurde den ganzen Abend nie herausgerufen, sondern ging sowohl [?] nach BeethovenII, Don Juan, u. Schumann Cdur mit einfachem Applaus ab. Ich bin sehr froh, daß das Stück nicht durchgefallen ist, wozu in Dresden jede Novität die größten Chancen hat. Ich saß im Parkett zwischen zwei Herren, die mich nicht kannten u. sich furchtbar lustig (für mich) über Don Juan unterhielten; amüsirte mich königlich. Der eine meinte, er hätte nun genug von der Sorte u. ich hätte auch hübsch in der Componistenmappe herumgesucht, der andere bewunderte das Colorit, fand, daß ich doch viel eigene Gedanken hätte u. daß das Dahinstürmen u. besonders der Ekel ausgezeichnet wiedergegeben wären. Schließlich entdeckten sie den Componisten im ersten Rang oben u. ich saß zwischen ihnen und mußte mich im̅er [2r] furchtbar zusam̅ennehmen, um nicht herauszuplatzen.

Das Orchester, das wirklich mit sichtlicher Begeisterung gespielt hatte, war, wen ich sprach, sehr entzückt vom Don Juan. Schuch war sehr liebenswürdig, wir waren nach dem Concert mit Hibler, Hagen, Schuch, Scheidemantel, Böckmann etc. zusam̅en u. es war sehr gemütlich. Hibler läßt vielmals grüßen, er ist heute noch wütend über Deine Pensionirung.

Das Dresdner Orchester ist unstreitig jetzt das schönste, die Bläser sind alle ideal u. haben ein pp, das einfach fabelhaft ist. Das Thannhäuserorchester war von einer Discretion, wie ich sie von keinem offenen Orchester noch gehört habe. Wundervolle Oboen u. Flöten, Hörner famos, ebenso Trompeten u. Posaunen.

Der Thannhäuser auf der Bühne war, mit Ausnahme Scheidemantels, der der einzige stilvolle war, auch in Regie ziemlich [2v] mäßig, Gudehus scheußlich u. die Tempi von A bis Z von einer Schnelligkeit, die beinahe noch über Levi ging. Im Ganzen war’s kein großer Genuß.

Soeben habe ich wieder einen reizenden Brief von Frau Wagner erhalten, die ich wahrscheinlich bis Ende Januar in Berlin treffen werde. Bülow teilt mir soeben mit, daß er am 22. Jan. meine Fmollsinfonie in Hamburg (nun schon zum 2.ten Male dort) aufführen wird.

Ich bin also wohl u. munter u. sehr befriedigt von Dresden, herzlichen Dank für Hanna’s lieben Brief, freue mich, daß Ihr alle wieder wohl seid. Könnte Papa nicht zum Don Juan nach Berlin kom̅en 30. Jan.? Hm, hm! Das wäre zu überlegen!

Tausend Grüße an Dich, lieber Papa, Mama, Hanna u. Ritter, […]

Euer

R.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Quellennachweis

  • Original: [unbekannt] (Autograph)

    • Hände:

      • Richard Strauss (handschriftlich)
    • Autopsie: Keine Autopsie des Originals.

    • Reproduktionen:

      • Bayerische Staatsbibliothek (München), Signatur: Ana 330, I, Strauss, 173 (Transkriptionsgrundlage)

        • Autopsie: 2017-08-28

Bibliographie (Auswahl)

  • Edition in Richard Strauss / Willi Schuh (Hrsg.): Briefe an die Eltern 1882–1906, Zürich, Freiburg (Breisgau), 1954, S. 125–126.
  • Genannt/Verzeichnet in Günter Brosche (Hrsg.) / Karl Dachs (Hrsg.): Richard Strauss: Autographen in München und Wien. Verzeichnis (= Veröffentlichungen der Richard-Strauss-Gesellschaft, Bd. 3), Tutzing, 1979, S. 158.

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/d02104 (Version 2018‑01‑26).

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