Hochverehrtester Herr von Bülow!
Verzeihen Sie, daß ich Ihnen nicht schon längst für die freundliche Aufmerksamkeit, die Sie meinem »Don Juan« schenkten, und für die liebenswürdige Absicht, denselben in einer Probe durchspielen zu lassen, gedankt habe. Ich bitte Sie nur, entschuldigen zu wollen, daß ich
Ihnen uncorrigirte Stim̅en geschickt habe; ich hatte leider keine Zeit mehr, sie nachzusehen, hoffe jedoch, daß sie ziemlich correct sind, da sie vom Copisten wenigstens revidirt sind. –
Ich bin hier in vollster u. vorläufig sehr angenehmer Tätigkeit, habe Sonntag meinen ersten Lohengrin mit größter Begeisterung dirigirt und im allgemeinen eine sehr hübsche Vorstellung desselben zu Stande gebracht. [1v] Das Orchester ist gut und vor allem sehr willig, ebenso der allerdings minimal kleine Chor, auch die Sänger bringen mir viel Sympathien entgegen, so daß ich mich, nach den Proben zu urtheilen, schon der Hoffnung hingab, sie würden mir den Lohengrin im Takt singen! Da hatte ich mich nun allerdings, bei der Hälfte wenigstens, gründlich getäuscht, am Abend gingen die Droschkenpferde ihren seit 20 Jahren altgewohnten Trab u. ich dirigirte unten Recitativ, daß es eine wahre Freude war.
Mein Schüler Zeller (Lohengrin) und auch Schwarz, der sich sehr viel Mühe gab, als Telramund können als rühmliche Ausnahme gelten. – Doch das rein musikalische werde ich schließlich schon allein bezwingen, die Regie ist leider seit 20 Jahren hier so vernachlässigt, daß ich größte Mühe haben werde, die »Bühne« auf ein [2r] einigermaßen anständiges Niveau zu heben.
Doch mit Herrn von Bronsart’s Hilfe, welcher ein von mir bis jetzt noch nicht gekanntes Ideal eines Intendanten ist, hoffe ich auch hier gründliche Besserung. Lassen ist ein sehr liebenswürdiger College, der mir mit Ausnahme des Fidelio, Meistersinger, Nibelungen u. Holländer das gesam̅te deutsche Repertoire abgetreten hat. Außerdem habe ich die 4 Abonnementsconcerte zu dirigiren.
Hier geht das Gerücht, daß Sie, hochverehrter Herr von Bülow, die Absicht haben, in nächster Zeit hier zum Besten der großh. Musikschule ein Concert zu geben. Ist dies wahr? Oder ist es nur eine blasse Rennomage Müller-Hartung’s? –
Am Schlusse möchte ich noch eine Bitte – wirklich – wagen, – denn ich riskiere mit dem Aussprechen dersel[2v]ben Ihren Unwillen. Daß ich die Bitte trotzdem ausspreche, mag Ihnen Beweis sein, daß ich es nicht leichtsinnig thue. – Dieser Tage wird ein junger Musiker (o weh! werden Sie denken, belästigt mich Strauss auch noch mit fremden Menschen), einer meiner besten Freunde, Herr Friedrich Rösch, der eigens zu dem Zwecke in Berlin ist, um Ihren Concerten beizuwohnen, an Sie mit der Bitte herantreten, ob er nicht Ihren Proben beiwohnen darf. Rösch ist ein sehr bedeutender, vorzüglicher Mensch, der wirklich von Ihren Proben den größten künstlerischen Gewinn davontragen kann, u. auf dessen Discretion, (er schreibt auch in keinen Zeitungen) vollständig zu rechnen ist, der Sie überhaupt in keiner Weise belästigen wird. Darf ich nun so frei sein, dessen Bitte zu unterstützen? Werden Sie mir nicht böse sein?
[3r] Die Freundschaft überwigt hier den Neid, daß nicht ich selbst es bin, dem der Genuß Ihrer Proben u. Concerte zu Teil wird. Zwar hoffe ich sicher, zu einem oder zweien Ihrer Concerte nach Berlin zu kom̅en, dabei bleiben leider noch 6 bis 8 Concerte übrig, die ich nicht höre.
Nehmen Sie, hochverehrter Herr von Bülow, im Voraus meinen herzlichsten Dank für den Fall, daß Sie die Bitte meines Freundes gewähren, u. empfangen Sie die herzlichsten Grüße Ihres
in ausgezeichnetster Hochachtung
stets treu ergebensten
RichardStrauss.