Pottgiesser, Karl
[ohne Titel]
in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 98, Jg. 69, Heft 8, Mittwoch, 19. Februar 1902, S. 117–118

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
München, Mitte Februar 1902.

Ein Ereignis in der musikalischen Welt aus den letzten Wochen bildete das von Richard Strauß mit dem Kaim-Orchester unter Mitwirkung der Frau Strauß-de Ahna und des Baritonisten Loritz gegebene Concert mit eigenen Compositionen. [Auf] dem Programm standen die Tondichtungen »Don Juan« und »Tod und Verklärung«, Lieder für Sopran und Bruchstücke aus »Feuersnot«. Die erstgenannten Orchesterwerke, die zur Genüge als hervorragende, von individuellem Geiste erfüllte Schöpfungen auf dem Gebiete der neuern Programmmusik gepriesen sind, verfehlten auch bei dieser Aufführung nicht eine tiefgehende Wirkung, die naturgemäß durch die feinsinnige, an entsprechender Stelle von kraftvoller Leidenschaft getragene Leistung des Componisten erhöht wurde. Die Darbietungen der Frau Strauß-de Ahna hinterließen keinen sonderlich tiefen Eindruck; die von ihr vorgetragenen Lieder (»Kling«, »Ich schwebe«, »Waldseligkeit« und »Jung Hexenlied«) gehören nicht zu den glücklichsten Inspirationen des Componisten. Die Stimmmittel der Sängerin sind nicht bedeutend, und sie selbst war allzusehr bemüht, diese Schwächen durch äußerlich wirkende Vortragsmittel zu ersetzen. Aus dem jüngesten Bühnenwerke von Strauß gelangten zur Aufführung: Scene zwischen Diemut und Kunrad, der Monolog Kunrad’s und die Schlußscene. Ihrem rein musikalischen Werte nach vermag ich diese Bruchstücke nicht übermäßig hoch einzuschätzen. Allerdings verwertet Strauß die orchestralen Mittel auch hier in glanzvollster Weise, eine eindrucksvolle musikalische Individualität spricht aber aus den Stücke nicht. Der Componsit erscheint fast durchweg als begabter Epigone Wagner’s, der indessen nicht über die gedankliche Gestaltungskraft des Meisters verfügt. Auffallend ist in der Liebesscene eine fast notengetreue Wiederholung des Motivs der Gutrune aus Wagner’s »Götterdämmerung«; häufig macht sich in der Melodik eine gewisse Weichlichkeit bemerkbar, die fast an’s Triviale streift. In dem Monologe Kunrad’s – hier legen Dichter und Componist ihrem Helden unmutsvolle Aeußerungen über die schlechte Behandlung in den Mund, welche Richard Wagner seiner Zeit in München zu Theil wurde, und rühmen sich dann selbst der Nachfolge des Meisters!! – verwertet Strauß Weisen, welche dem Münchener Bierhumor entlehnt sind. Er erzielt damit eine außerordentlich humoristische Wirkung, und es bleibt nur zu bedauern, daß dieses volkstümliche thematische Material nicht immer in einer compositorisch werthvollen Verbrämung erscheint, sich viemehr manchmal mit allzu großer Deutlichkeit dem Ohre aufdrängt. Die besten Gedanken finden sich in der Liebesscene des Schlusses; hier erhebt sich die musikalische Sprache zu wahrhaft bewundernswerter Schönheit. Leider aber stört der Componist dieses günstigen Eindruck wiederum dadurch, daß er in breitester Tongebung wiederholt eine wenig vornehme Volksmelodie einflicht; die Notwendigkeit der Verwendung derselben, etwa zum Zwecke einer humoristischen Wirkung, bleibt angesichts der textlichen Fassung durchaus unverständlich. Ein abschließendes Urteil über die Musik wird allerdings erst bei einer scenischen Vorführung des Werkes möglich sein; wie verlautet, wird eine solche am hiesigen Hoftheater beabsichtigt. Um die Wiedergabe der Bruchstücke machten sich Frau Strauß-de Ahna und Herr Loritz wohl verdient. Das Orchester folgte in rühmenswerter Weise den Intentionen des dirigirenden Componisten. Der Erfolg des Abends war ein außerordentlicher. Namentlich nach den Stücken aus »Feuersnot« rief das Publicum in voller Begeisterung den Componisten immer wieder auf das Podium. Selten ist in München eine Novität mit solchem Beifall begrüßt worden.

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verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b44014 (Version 2018‑01‑26).

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