Y.
[ohne Titel]
in: Teplitz Schönauer Anzeiger, Sonntag, 29. Juni 1924

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
2. Symphoniekonzert.

Das 2. Symphoniekonzert war Richard Strauß (zu seinem 60. Geburstage) gewidmet. Bis auf die Auswahl von »Tod und Verklärung« hiezu [sic], das nicht lange her erst gespielt wurde, wofür wir »Till Eulenspiegels lustige Streiche« als passender gesetzt vermeinen, weil es Strauß nach der Seite des Humors charakterisiert, konnte man mit der Auswahl der vorgetragenen Stücke »Aus Italien« und »Don Juan« einverstanden sein. »Aus Italien« zeigt uns Strauß noch wesentlich im rein Musikalischen; das Programm, in Musik umgesetzt, zeigt ihn lange noch nicht mit den ausgeprägten späteren Zügen; es ist mehr Stimmungsmalerei; bis auf den letzten Satz, der mit dem »Funikuli« den Lokalen festlegt. Doch ist [in] der Instrumentation gerade in diesem Satze sowie in der satztechnischen Arbeit Strauß’ schon viel deutlicher zu erkennen, als in den vorhergehenden 3 Sätzen. So vernahmen wir über »Aus Italien« genau dasselbe Urteil, wie es hier seinerzeit bei der Erstaufführung durch Zeischka laut wurde: (es war der erste Versuch mit Strauß’ Musik und er hatte inzwischen auch schon den »Don Juan« geschrieben und die Meinungen lebhaft in Gegensatz gebracht): »Das, ein Strauß?« In dem folgenden »Don Juan« stand aber der Hörer vor dem glänzenden, scharf umgrenzenden, meisterlichen, aus einem Guß schaffenden Strauß. Herr Dir. Wille interpretierte ihn nur in »Don Juan«, auch in »Tod und Verklärung«, im ganzen zu stürmisch. Nach dem Lenau’schen »Don Juan«, dem Strauß das Programm entnommen haben soll, ist vor allem die Sehnsucht nach Erlösung das zu Grunde liegende Motiv; nebst der Genußsucht, die hier zum Schicksal der Gestalt vertieft wird, also nebst der tatsächlich erregten Orchesterarbeit, finden aber die Themen, besonders die femininen (Zerlinchen, Anna) zarteren Ausruck. Vor allem das Verweilen in der Sehnsucht, wie es sich im Mittelsatze, nach der Katastrophe später, ausbreitet, gewann in der Durchführung nicht die sich versenkende Chorde; gemäß der Auffassung von Musik gelangte diese daher hier nicht zu ihrem vollen Rechte. Wir greifen vor; derselbe Umstand nimmt den Ruhepunkten der symphonischen Dichtung »Tod und Verklärung« jedwede poetische Tiefe und Versunkenheit. Und doch vermöchte dies mit einem echten Piano sicherlich und leicht erreicht werden. Wir beklagten es schon öfter, daß unser Orchester dermalen der Stufenleiter des Piano ganz ungewohnt wird. Musik muß aber Musik bleiben, auch in der höchsten Leidenschaftlichkeit; und gerade Strauß bleibt sowohl in »Don Juan« wie in »Tod und Verklärung«, wenn er auch den schrillen Klang, die zerschmetternste Phantasie zeichnet, klar; hier aber vernimmt man ein erregtes Ungestüm, einen Ueberaufwand von Instrumentenforce. Sonderbar; davon sticht dann wieder einmal ein ganz plansicherer Aufbau, wie der glänzende Schluß in »Tod und Verklärung« letzthin oder der 1. Satz in »Aus Italien« ganz eigentümlich ab. Das Orchester vollzog entsprechend den Intentionen des Leiters vortreffliche Arbeit. Uns über Strauß’ Weg noch einmal zu äußern, würde, nachdem es seinerzeit schon geschehen, als Wiederholung, also als überflüssig empfunden werden. Die nicht sehr zahlreichen Zuhörer fanden für den »Don Juan« eine der glänzendsten Sachen Strauß’, wenig Würdigung, für die Wiedergabe von »Tod und Verklärung« dagegen bezeigten sie sehr andauernden Beifall.

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43902 (Version 2018‑01‑26).

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