In das Gewandhaus ist im 3. Abonnementeoncert mit »Don Juan« nunmehr auch Richard Strauss als Componist symphonischer Tondichtungen eingezogen, und die Aufnahme des Werkes, die sich durch zweimaligen Hervorruf des Dirigenten als eine sehr warme kennzeichnete, spricht dafür, dass das Publicum ihm in dieser Eigenschaft ein so lebhaftes Interesse entgegenbringt, dass die Direction es wagen kann, in nicht zu langen Zwischenräumen auch seine übrigen Schöpfungen dieser Art vorzuführen. Zu dem guten Erfolg hat aber jedenfalls die von Nikisch und dem Orchester gebotene eminent virtuose und geistvolle Ausführung wesentlich beigetragen, die schon allein den Besuch des Concertes gelohnt hätte; vor Nikisch wäre eine derartige bis ins kleinste Detail hinein vollendete Reproduction der Strauss’schen symphonischen Tondichtungen einfach unmöglich gewesen, selbst wenn nicht Hr. Prof. Dr. Reinecke, sondern der Componist in eigener Person am Pult gestanden hätte. Ueber das Werk ist in diesen Blättern bereits des Oefteren geschrieben worden, sodass ein nochmaliges Eingehen auf seine Wesenheit kaum nöthig ist. Uns persönlich erscheint unter den betr. Schöpfungen auch »Don Juan« nach Seite der eigentlichen musikalischen Erfindung nicht im richtigen Verhältniss zu dem in der Instrumentation aufgewandten Raffinement zu stehen, und wirkt er nur schwach auf unser musikalisches Empfinden. Mehr wirkliche Originalität in der Erfindung und weniger Calcul wäre uns, so interessant und frappant auch das Orchestercolorit ist, lieber. Das die beiden übrigen Orchesternummern des Abends, die 1. Symphonie von Schumann und die »Abenceragen«-Ouverture von Cherubini, unter Hrn. Nikisch’s liebe- und verständnissvoller Führung dieselbe zündende Wiedergabe erfuhren, wie »Don Juan«, ist kaum nöthig zu sagen. Mit dem Orchester rivalisirte der Pianist Hr. Wassilij Sapellnikoff aus St. [621] Petersburg, der auf einem herrlichen Blüthner-Instrument mit überlegener und auserlesener Meisterschaft in Allem und Jedem das G moll-Concert von Saint-Saëns und H dur Nocturne und G moll-Scherzo von Chopin, sowie als Zugabe Liszt’s »Gnomenreigen« zur Wiedergabe brachte und mit seinen Darbietungen das Publicum in höchstem Grade fesselte und electrisirte, sodass wahre Beifallstürme den Saal durchtobten.
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