Grusen, Georg
[ohne Titel]
in: Neue Zeitschrift für Musik, Bd. 88, Jg. 59, Heft 14, Mittwoch, 6. April 1892, Rubrik »Correspondenzen«, S. 163

relevant für die veröffentlichten Bände: III/5 Don Juan
Wien.

Schließlich sei noch ein außer dem Abonnement gegebenes Gesellschaftsconcert zu Gunsten des Conservatorium’s erwähnt, das durch die Mitwirkung von Joachim und Brahms nennenswerth. Joachim, mit enthusiastischem Beifall begrüßt, spielte mit der ihm eigenen acaedemischen Vollendung und idealen Auffassung das dritte Violinconcert von Bruch, das zwar nicht so melodisch und temperamentvoll wie das erste dieses Componisten, aber in der motivischen Durcharbeitung gediegener. Ferner spielte Joachim noch einige Violinsätze aus Werken von J. S. Bach und Spohr und zum Schluß zusammen mit Brahms dessen »ungarische Tänze«. Diese Tänze sind jedoch nicht, wie allgemein vorausgesetzt von Brahms, sondern von Franz Erkel, Miska Hauser und theilweise auch Original-Zigeunerweisen, die unverändert, anfänglich nur für Clavier von Brahms notirt wurden; sie sind ein Kunstproduct Oesterreich-Ungarns und nur von Brahms nach Deutschland exportirt. Man konnte somit, als diese Tänze von dem deutschen Componisten Brahms und dem geborenen Ungar Joachim zusammengespielt wurden, sich in Studien der Wirtschaftspolitik in ihren Hauptprincipien »Freihandel« und »Schutzzoll« ergehen. Dem Tonkünstler Brahms, der das von Andern Componirte unter seinen Namen veröffentlichte, galt der Freihandel, dem Meister Joachim, der Zoll – der Bewunderung.

Fast zugleich mit den Gesellschaftsconcerten begannen die Mitglieder des Hofopernorchesters unter der Leitung Hans Richter’s den Cyclus ihrer »philharmonischen Concerte«, deren erstes von dieser Körperschaft oft Gespieltes zum Programminhalt hatte; es waren dieses Cherubini’s »Anacreon-Ouverure«, eine Chaconne von J. S. Bach, Berlioz’ Lear-Ouverture und Beethoven’s siebente Symphonie, die mit der, den Philharmonikern eigenen Präcision zu Gehör gebracht wurden.

Das zweite philharm. Concert galt der Centennarfeier Mozart’s, wir hörten dessen bis jetzt hier noch nicht öffentlich gespieltes Clavierconcert in B dur, welches von Frl. Baumaier so im Geiste des Meisters und mit solcher virtuosen Fertigkeit vorgetragen wurde, daß ihre Leistung allgemeinen Beifall hervorrief. Mozart’s Adagio und Fuge für Streichorchester und dessen Es dur-Symphonie (K. Nr. 543) in höchster Vollendung wiedergegeben, beschlossen dieses Concert, welches dadurch, daß es nur Werke von Mozart, und diese in so vortrefflicher Ausführung bot, einen großen Kunstgenuß gewährte.

Das dritte philharm. Concert, welches mit Beethoven’s Ouverture (Op. 115) eröffnet wurde, führte uns als Solisten Herrn Johannes Wolf, einen Violinvirtuosen aus dem Haag [sic] vor, der zu seinem Vortrage Spohr’s Violinconcert in A moll (in Form einer Gesangsscene) wählte und durch seinen edlen, weichen Ton und seine fließende Cantilene sich die Gunst der Hörer in so hohem Maße erwarb, daß er durch mehrfache Hervorrufe ausgezeichnet wurde. Den Schluß des Concerts machte A. Bruckner’s (im Jahre 1865 componirte) erste Symphonie in C moll, über welche sich beinahe das Gleiche wie über dessen im verflossenen Jahre aufgeführte dritte Symphonie in D moll sagen läßt. In kleineren Formen wird es dem Komponisten möglich, sich bei dem gesammten Publikum verständlich zu machen, und so fand auch in dieser Symphonie das formrichtig gearbeitete Scherzo den meisten Beifall. Die anderen Theile dieser »ersten Symphonie« konnten jedoch wegen ihrer sprunghaften Logik und ihrer, nur selten aus dem thematischen Inhalt sich ergebenden und fast immer zu lärmenden Instrumentation, nur die Freunde und Verehrer des Componisten erfreuen, die sich auch in demonstrativem Beifall ergingen.

Das vierte philharm. Concert brachte nur von diesem Orchester bereits Gespieltes, aber nicht minder gern Gehörtes. Nach den zu Beginn ausgeführten Fragmenten von Fr. Schubert’s H Moll-Symphonie, gelangte die schon im verflossenen Jahre ausgeführte, und in dieser Zeitschrift ausführlich besprochenen Suite »Peer Gynt« von Grieg zur Wiederholung, an die sich, das Concert stimmungsvoll beschließend, Mendelssohn’s A moll-Symphonie reihte.

In dem fünften philharm. Concerte, das mit Cherubini’s »Medea-Ouverture« eröffnet, mit Beethoven’s erster Symphonie geschlossen und R. Volkmann’s reizende Serenade in F dur für Streichorchester brachte, wurde uns auch eine Novität geboten: Richard Strauß’ geniale Tonschöpfung »Don Juan« nach Lenau’s gleichnamiger Dichtung. In diesem, von dem Orchester vorzüglich ausgeführten Werke lernten wir einen Tonkünstler kennen, der Theorie und Form, wie alle orchestralen Kunstmittel vollständig beherrscht, die ihm aber nur Mittel zum Zweck: den Grundgedanken des Tonstückes durch Harmonie, Melodik, Rhythmik und instrumentale Klangfarben zum Ausdruck bringen, und so können wir in der sich logisch entwickelnden thematischen Durchführung und den hierdurch geschaffenen festen Periodenbau, die Begebenheiten, die uns Lenau’s Gedicht erzählt, wie deren psychologische Motive genau verfolgen, und uns über den Gesammteindruck freuen, der durch eine so geartete Arbeit erzielt wird. Eine vollständige Würdigung wurde dieser Tondichtung zwar nur von einem Theile der Zuhörerschaft, doch dürfte bei einer wiederholten Aufführung sich auch der andere Theil dem Verständnis für diese Musik nicht mehr entziehen.

(Fortsetzung folgt.)

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b43194 (Version 2018‑01‑26).

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