Das Schicksal, welches die Tugendwächterin Zensur in völliger Verkennung der Absichten des Dichters einst Oskar Wildes »Salome« bereitet hat, schien eine Zeitlang auch Richard Strauß’ Oper Gefahr bringen zu wollen, wie der gegenwärtig noch währende Kampf um die Freigabe des Werkes in Wien zeigt. Religiöse und sittliche Bedenken würfelt man dabei gegen die eigene Ueberzeugung keck zusammen, um das Anathema scheinbar zu rechtfertigen, und verweist gleichzeitig mit gut gewähltem Grunde auf Wildes Lebensausgang, um Stoff und Behandlung mit der nötigen Entrüstung als verabscheuungswürdig vom Theater fernzuhalten. Goethe hat einmal in einem Briefe an Mayer die Behauptung: die Künste hätten das Sittengesetz anzuerkennen und sich ihm unterzuordnen, treffend eine »alte, halbwahre Philisterleier« genannt, denn, so fügt er mit Recht hinzu, »das erste haben sie immer getan und müssen es tun, weil ihre Gesetze so gut wie das Sittengesetz aus der Vernunft entspringen; täten sie aber auch das zweite, so wären sie verloren, und es wäre besser, daß man ihnen einen Mühlstein an den Hals hinge und sie ersäufte, als daß man sie nach und nach ins Nützliche absterben ließ«. Daran haben weder die Kritiker Oskar Wildes, noch die Widersacher von Richard Strauß gedacht und damit von neuem die in Ewigkeit Geltung behaltende Regel ignoriert: daß in der Kunst das Wie und in der Moral allein das Was ausschlaggebend sein kann. Wie eng wären sonst auch die Grenzen der Kunst gezogen, dürften auf der Bühne niemals Handlung oder die Charaktere mit der Moral in Konflikt geraten. Nur die Tendenz des Schauspiels darf durch ein Lüsternheit erweckendes Betonen [?] des Unsittlichen nicht der Moral Hohn sprechen und unästhetisch wirken, und diese für das Aufführungsverbot ganz allein entscheidenden Gründe kann kein redlich denkender Mensch gegen Wildes »Salome« und noch viel weniger gegen Strauß’ Musikdrama geltend machen. Doch was nützt es, wenn man den dichterischen Wert und die geniale dramatische Ausführung der »Salome«-Tragödie auch mit behaglichem Wohlwollen anerkennt, wenn man im selben Atemzuge die in höchste poetische Schönheiten und orientalische Farbenpracht getauchte Sprache Wildes als »aus überreiztem Gemütszustande entsprungene Schilderungen perverser Liebesbrunst« entrüstet ablehnt. Man beweist damit nur, daß der freilich oft krasse Wortklang Wildes für viele die in sinnberauschendes Kolorit getauchten Bilder nicht zu entschleiern vermag, so daß zwischen jenen und der phantasielahmen Vorstellung manches Zuhörers ein weltenweiter Abstand bleibt, und diese Kluft konnte nur die Musik überbrücken. Bei den Berliner Aufführungen des Schauspiels mit der Sorma in der Titelrolle hatte man bereits aus dieser Ueberzeugung heraus für eine Bühnenmusik gesorgt, die allerdings nur dem nationalen Kolorit und der heißen Stimmung dienen sollte, ohne uns die Menschen selbst näher rücken zu können, aber erst in Richard Strauß’ Musikdrama ist jetzt ganz in Erfüllung gegangen, was Wilde einst an Wirkung von seiner Schöpfung inbrünstig erhofft hat.
Wildes »Salome« zu komponieren, wie sie der Dichter schuf, also ohne aus ihr ein Libretto zu extrahieren (nur verschwindend wenige Zeilen sind ausgelassen); konnte unter den zeitgenössischen Tonsetzern wohl nur Strauß wagen; denn einmal stand ihm in der grandiosen Technik ein Mittel zur Verfügung, um die Sprache des Schauspiels voll schwüler Glut und düsterer Ahnung erschöpfend in Klanggebilde fassen zu können, und dann besitzt er auch, wie kein anderer, auf seiner Makart-Palette alle Farben von den grellsten Tönen berückenden Sinnenrausches bis zum Halbdunkel grausiger Seelenqual, um dort als Illustrator, oder besser als Kolorist, einspringen zu können, wo Wildes Wort nicht restlos die erwünschte Vorstellung auszulösen vermag. Es wäre nun wunderbar, wenn der Komponist, als der größte unter den Programm-Musikern, hier nicht auch seiner Lieblingsneigung gefolgt wäre; und tatsächlich ist die »Salome«-Partitur Programmusik im vollsten Sinne des Wortes, die eigentlich nur noch durch die von den Darstellern gesungenen Worte der Wildeschen Dichtung mit der Bühne lose zusammenhängt. Strauß vermag mit seinem Orchester alles zu konterfeien, ob dies nun Farben oder Vorgänge, Düfte oder Naturschauspiele sind, und diese Seite seiner genialen Begabung verleitet ihn in der »Salome« zu einer Ueberfülle kleiner und kleinster Züge, die sich einer breitausladenden Linienführung oft widersetzen. Aber sie erzeugen jenes in Farben schwelgende [Mosaikbild], das in allen Details ein Meisterstück ist und ins Weite und Große wirkt. Daß Strauß Programmusik schreiben wollte, bei welcher die Töne erst Sinn, Intensität und geradezu greifbare Wirkung durch die Unterstützung des Wortes erhalten, geht aber auch aus der Art der Behandlung der Gesangstimmen hervor. Seine Personen sprechen die Worte auf Intervallfolgen, wie sie dem Tonfall unserer Sprache in jedem Affekt mathematisch nachgezirkelt sind, also ohne eigentliche Melodie, um nur dort warme Töne anzuschlagen, wo sie, von den Bühnenvorgängen losgelöst, ihre Individualität frei enthüllen. Und das räumt dem Gesangssatze in der »Salome« nur eine sekundäre Stellung ein. Wenn man auch die außergewöhnlichen Mittel und Schritte dieses musikalischen Sprechens damit erklären kann, daß das Dargestellte ja auch geistig weit über das Maß des Gewöhnlichen hinausragt, so wird man doch auch nicht verkennen dürfen, daß uns solche unerhörte Strapazen bald der besten Sänger berauben würden, wenn dieser Stil Zukunftsmusik bedeuten sollte.
Während bei Wagner auch die heikelsten Deklamationsstellen Musik bleiben, bildet bei Strauß das gesungene Wort oft nur noch die technische Brücke zum Verständnis der orchestralen Illustration. Er dient als das letzte, in der Wurzelgemeinschaft von Musik und Ton begründete Mittel, den Inhalt des Klanges fortlaufend zu erklären. Auch in der Behandlung der Leitmotive geht Strauß eigene Wege. Seine Themen haben nicht den musikalischen Stimmungsgehalt der Wagnerschen Erkennungsmelodien, sondern sind mehr Hinweise rein äußerlicher Natur, die oft wegen ihres ganzen Zuschnittes nicht einmal ähnlich modulationsfähig sind, wie die Leitmotive Wagners. Man sehe sich z. B. die zwei Themen der »Salome« an: das eine kapriziös und auf die Persönlichkeit des voll Sinnenglut erzitternden Weibes Bezug nehmend, und das zweite in seinem verführerischen Locken (h, dis, h – Fis), das als einzige Veränderung eine Versetzung nach moll aufweist, sobald die Wünsche der »Seelendirne«, wie sie einst von jemandem genannt wurde, nicht in Erfüllung gehen. Jochanaan ist als Prophet in einer pastoralen Weise und als unnahbarer Mensch durch abweisende herbe Quartenschritte gekennzeichnet, Herodes wird in einem spinösen Motiv als ein Charakter ohne Halt und voll krankhafter Unruhe gemalt, und Herodias findet ihre weiblichen Eigenschaften in einem Motiv zusammengefaßt, das sich schon wegen seiner fast brutalen Derbheit einer thematischen Verarbeitung im Sinne des Bayreuther Meisters widersetzen würde. Durch diese Prägnanz der Themen, die also nur äußerlicher Kennzeichnung und nirgends dem Vertiefen in den Gemütszustand der handelnden Personen dienen, wird das tausendfältige Vielerlei des Kolossalgemäldes weiter erklärt und zugleich damit angedeutet, daß bei Strauß die Arbeit des Zeichnens mit der Melodielinie nicht die Hauptsache ausmacht. Nur an wenigen Stellen der Partitur finden sich Anläufe dazu. So gleich am Anfang, wo die Melodie oft an hebräische Kultusgesänge erinnert, dann einzelne Momente in den belehrenden Worten Jochanaans und endlich in der letzten Szene der Salome.
Was errang nun trotz dieser rein musikalischen Schwächen dem Werke den großen Erfolg? Nun, erstens die dem Dichter gut zu schreibende wunderbare, einheitliche Stimmung und prachtvolle Charakterzeichnung und zweitens die unantastbare Farbenechtheit in Strauß’ meisterhaftem Kolorit. Bei Strauß heißt Wärme Farbe, und da ihm Wilde in seinen Versen die Melodie zu der harmonischen und instrumentalen Malerei gab, ist damit alles gesagt. Ebenso wie viele Bilder nur durch die Palette des Künstlers ästhetische Bedenken fernhalten, so ist auch hier mittels des musikalischen Kolorits nicht nur die gewagteste Situation geadelt, sondern auch das in blendenden Bildern den Sinnen des Zuhörers entrollt, was Wildes Wort allein nicht erschöpfend sagen konnte. Strauß’ Mittel zu solch universaler Dekorationsmalerei ist seine in der Welt einzig dastehende Instrumentationskunst und gleichberechtigt neben ihr eine harmonische Gewandtheit, die sich für ihren Zweck – im Notenbilde gräßlich anzusehen – selbst die entsetzlichste Kakophonie dienstbereit zu machen versteht. Aber durch die Idee des Ganzen wird alles restlos erklärt, und trotz des ungeheuren Apparates, der zur Aufführung des Werkes notwendig ist, kann man überall das Gesamtbild völlig überschauen. Die Oper beginnt ohne Vorspiel, setzt nach einem interessant gehaltenen Dialoge mit dem Erscheinen der Salome sofort hochdramatisch ein und erreicht im Monologe Salomes vor der Schüssel mit dem Haupte Jochanaans eine solche Höhe des Ausdrucks, daß uns der Schluß mit der Tötung der dämonischen Herodiastochter nicht Abscheu, sondern Teilnahme einflößt. Und daher kam die im Augenblick des Vorhangfallens allge[[2]]mein zutage tretende Ergriffenheit, die bald einem wahren Beifallssturme wich. Wundervoll ist aus dem Musikdrama der Orchestersatz nach dem Zurückkehren des Propheten in die Zisterne und der Tanz der Salome, weniger gelungen das Ensemble der fünf Juden, die man des philosophischen Charakters (nach der Auffassung Wildes) entkleidete und mit einem Einschlag ins Komische gab.
Die Vorstellung war, wie bereits telegraphisch gemeldet, eine musikalische Tat ersten Ranges. An der Spitze von ihnen bot Frau Wittich eine Salome, die den buhlerischen Lockkünsten, wie den glühendsten Begierden prägnantesten Ausdruck gab und ebenso schön sang, wie tanzte. Wenn sie auch ihrer Titelheldin weniger dämonische Lichter aufsetzte, als es das sich vor Liebesglut verzehrende Weib verlangt, so hat sie damit der Sache nur gedient. Neben ihr schuf Herr Burrian einen Herodes von wundervoller Charakterschärfe, bei welcher die von Augenblick zu Augenblick wechselnden Stimmungen des Hasses und der heuchlerischsten Freude, der schrecklichen Todesangst und der sinnlichsten Lust scharf herausgemeißelt wurden. Herr Perron gab als dritter Stern mit Frau Wittich und Herrn Burrian im Bunde einen Jochanaan voll hehrer Würde und unnahbarer Größe, im Ermahnen und Fluchen von seiner herrlichen Stimme glänzend unterstützt. In kleineren Rollen sind noch Frl. v. Chavanne als Herodias, Frl. Eibenschütz als Page und Herr Jäger als Narraboth zu erwähnen. Das Orchester, unter Hofrat v. Schuchs Leitung, bot eine unübertreffliche Leistung, ebenso wie die Ausstattung des in betörenden Mondschein getauchten Bildes voll orientalischer Pracht die Sinne berückte.
Ungezählte Male wurden die Darsteller mit dem Komponisten und Schuch stürmisch gerufen.