Schwers, Paul
»Richard Strauß’ ›Salome‹. Uraufführung in der Dresdener Hofoper am 9. Dezember«
in: Deutsche Musiker-Zeitung. Organ für die Interessen der Musiker und des musikalischen Verkehrs, Jg. 36, Heft 49, Samstag, 9. Dezember 1905, S. 760–761

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome
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Richard Strauß’ »Salome«.
b. Uraufführung in der Dresdener Hofoper am 9. Dezember. (Nachdruck verboten.)

Man wird Richard Strauß im Gegensatz zu der Mehrzahl der anderen zeitgenössischen deutschen Musikdramatiker nicht den Vorwurf machen können, daß er zwar ein genialer Musiker, aber ein schlechter Dramatiker sei. Er hat sich bei seiner in Dresden aus der Taufe gehobenen Salome zweifellos von einem starken Bühneninstinkt leiten lassen. Die sichere Erkenntnis, daß Oskar Wildes mit geschickter Hand geschaffenes Drama, das in Berlin allein an 250 Aufführungen erlebte, ein ungemein wirksames Objekt für eine musikalische Einkleidung sei, hat den kühn zugreifenden Komponisten glatt über alle Bedenken ästhetischer Natur, über alle peinlichen Erwägungen hinweggetragen. Es gehört in der Tat eine erkleckliche Dosis, sagen wir Kühnheit dazu, den Salomestoff, und zwar in der Wildeschen Form, der mitteleuropäischen Kulturwelt als »Oper« vorzusetzen. Die blutrünstige Perversität scheußlicher Raubtiernaturen als Untermalung zu einem mit starkem bühnendichterischen Raffinement erdachten Sensationsdrama zu benutzen, davor hätte selbst eine kaltblütig spekulierende Literatennatur zurückschrecken müssen; um wievielmehr aber der zarter empfindende, sensiblere Musiker. Ich weiß nicht, ob ein anderer deutscher Tonsetzer sich mit seinem künstlerischen Gewissen über diese Bedenken skrupellos hinweggesetzt hätte. Strauß hat trotz zahllreicher [sic], abratender Stimmen alle Bedenken für unwesentlich, für nichtig befunden. Er komponierte die »Salome«, und es gab einen großen Erfolg für Richard Strauß, den onnipotenten [sic] Musiker.

Strauß bekam es jedenfalls bei der glanzvollen Dresdener Première nicht zu spüren, welch zwieträchtige Gefühle sich der Mehrzahl seiner Hörer bemächtigt hatten. Die Bewunderung für die gewaltige positive künstlerische Tat, die Strauß hier als Komponist vollbracht hat, schaltete für den Moment alle mißlichen Gefühle aus. Der Schöpfer des »Heldenlebens«, der »Domestica« und des »Zarathustra« wurde gefeiert wie ein nie besiegter Held. Ungezählte Male mußte er am Schluß des nur 1 3/4 Stunden spielenden Werkes vor dem Vorhang erscheinen und mit ihm seine künstlerischen Paladine, die sich dieser neuesten Schöpfung mit aufopfernder Begeisterung gewidmet hatten. Es war ein Ehrentag für die Dresdener Hofoper. Schon daß man sich hier kurzerhand für das angefeindete Werk entschlossen hatte, gereicht der Dresdener Bühne zur Ehre. Die Salome war nun einmal komponiert, und zwar von dem bedeutendsten der lebenden Tonsetzer. Man wußte, daß Strauß, wenn er den Stoff einmal in Angriff nahm, etwas Bedeutendes damit zustande bringen würde. Aufgeführt mußte die Salome also werden. Da berührte es denn einigermaßen befremdlich, daß sich andere erste Hofbühnen entschieden ablehnend dem Werke gegenüber verhielten. Dresden ging ohne alle Voreingenommenheit sofort an die Einstudierung. Es hat diese mutige Tat künstlerischer Selbständigkeit wahrlich nicht zu bereuen. Die gesamte tonangebende moderne Musikwelt Deutschlands war am Premièrenabend vertreten. Das stärkste Kontigent von dringlichen Interessenten stellte Berlin. Naturgemäß, denn dort ist die Salome unter dem Eindruck des Wildeschen Originals entstanden. Ein glänzendes Bild bot das ausverkaufte Haus. Und welch eine Aufführung brachten die Dresdener heraus! Ernst Schuch saß am Pult. Er hatte das voll ungeahnter, vorher kaum dagewesener Schwierigkeiten steckende Werk bis in die kleinsten Details hinein selbst einstudiert. Was stellt Strauß da für Anforderungen. Zweifacher Streicherchor, 6 Klarinetten, Celesta, Heckelphon und alle möglichen Schlag‑ und Lärminstrumente sind als Neuerungen in der Orchesterbesetzung aufzuzählen. Letzteres zählt 105 Mann.

Welch großartige, ja in einzelnen Fällen überwältigende instrumentale Wirkungen werden mit diesen freilich nicht eben simplen Mitteln erzielt. Es herrschte ein eigentümliches Klangmilieu, das die dunkle, schwüle Grundstimmung des Dramas treffend charakterisiert. Die Musik erhebt sich zu wirklicher Größe. Es steckt ungeheuer viel Schönes in der komplizierten Partitur, selbst wenn man manch Uebertriebenes und weniger Gelungenes von der Gesamtheit in Abzug bringt. Gegenüber der »Feuersnot« bedeutet die »Salome« einen kolossalen Aufschwung. Eine blühende und glühende Melodik, wie sie kaum in einem anderen Werke Strauß’ zu finden ist, durchzieht diesen einzigen langen Akt. Welch schillernde, leidenschaftliche Farben weisen die Salome‑ und die Herodesszenen auf. Und im [761] Gegensatz dazu, wie wundervoll erhaben und zeiruhig [sic] ist die Persönlichkeit des Johannes gezeichnet. Wie aus Erz und Stein gemeißelt steht die testamentarische Figur des Täufers vor unseren Augen. Und mit welcher Genialität sind beispielsweise die kreischenden Juden im Gegensatz zu den gemessenen ernsten Nazarenern illustriert.

Man staunt ehrlich ob dieser immensen Kunst und man bedauert, daß alle diese Herrlichkeiten über ein so, sprechen wir es ruhig aus, widerliches Sujet ausgearbeitet worden sind. Man wird stets von neuem nicht darüber hinwegkommen, daß sich Strauß gerade an diesen Stoff gekettet hat. Welche Gründe mögen ihn geleitet haben? Ich fürchte, es sind keine zu edlen Motive. Strauß kennt die dunklen Instinkte der Masse. Er hat es an dem Erfolg des Wildeschen Stückes gesehen, wie sich das Publikum dazu drängt, die schwülen, blutigen Vorgänge mit innerem Erschauern an sich vorüberziehen zu lassen. Solch raffinierte Nervenstriegelung ist unserer sensationslüsternen Masse gerade recht. Wenn die unheimlich wilde Herodiastochter den edlen Jochanaan (Johannes) mit ihren Begierden verfolgt, wenn der halbtrunkene Herodes die eigene Tochter mit lüsternen Augen zum leidenschaftlichen Tanze auffordert und wenn dann schließlich die tierische Salome unerbittlich als Lohn den Kopf des Gerechten auf einer silbernen Schüssel fordert, da zieht es dem Zuschauer seltsam durchs Blut. Und dann kommt das Scheußlichste: Salome in verzücktem Liebkosen mit dem abgeschlagenen Haupte Johannes des Täufers. Es geht einem auf die Nerven, man kann es kaum ertragen.

Die Träger der Hauptpartien hatten es übrigens nicht leicht. Frau Wittich war als Salome keineswegs eine Idealfigur, sie bot aber eine hochachtbare Leistung. Burrian war als Herodes vollendet nach jeder Richtung hin. Ebenso auf der Höhe zeigte sich Perron als Johannes.

Welche Bühne wird es nun mit der »Salome« wagen?

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42678 (Version 2019‑05‑27).

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