[3] Dem »Salome«-Abend der Strauß-Woche war etwas regietechnische Revision und die Neubesetzung zweier Rollen zuteil geworden. Dadurch gewann er, wenn nicht auch gerade den Charakter einer Neueinstudierung, so doch den einer szenischen Auffrischung. Das seit der Uraufführung »historische« Bühnenbild war geblieben und es gibt ja auch für den heutigen Geschmack noch eine durchaus angemessene und stimmungsvolle Umrahmung der Handlung. Es war aber etwas anders ausgeleuchtet als sonst; namentlich fiel durch die »vierte Wand« mehr rötliches Fackellicht auf die Herodesszene, so daß dieser Hauptteil des Ganzen mit dem Tanz im Mittelpunkt nun auch für das Auge plastischer hervortreten konnte. Es ist nur zu begrüßen, wenn der neuzeitliche Regie-Stil allmählich von dem Dogma der ewig dunklen Bühne wieder abkommt. Auch in den szenischen Bewegungen hatte Oberregisseur Erhardt manches unaufdringlich belebt und für den Zusammenhang sinnvoller gestaltet. Die musikalische Wiedergabe mit Richard Strauß am Pult hat ja längst feststehendes Gesicht gewonnen, gerade für Dresden, wo der Meister die »Salome« wohl am häufigsten dirigiert hat. Allerdings will es von Fall zu Fall scheinen, als ob die Neigung zum Abdämpfen des Orchesters zugunsten der Singstimmen noch zunähme. Und gerade bei »Salome« sind ihr doch sicher gewisse Grenzen gezogen, enger als bei manchem späteren Strauß-Werk; denn »Salome« ist und bleibt uns doch nun einmal die berauschende sinfonische Orchesterdichtung, bei der mehr die Singstimmen begleitenden Charakter haben – auf große Strecken wenigstens.
Nun hatte Strauß allerdings diesmal mit einer Vertreterin der Salome zu rechnen, die eine gewisse Umdeutung solchen Stiles nahe legte. Anne Roselles silberner hoher Sopran versuchte sich zum ersten Male in dieser Rolle und gab ihr ein ganz eigenartiges Gesicht. Die lockende, girrende, verführerische Salome, auch die wollüstig sentimental klagende und schwärmende bekam einen wundervoll schön gesanglichen Ausdruck – alles so zart, so fein abgetönt, daß auch das Orchester gleichsam nur Silberfäden als Untergrund spinnen durfte. Ueberall, wo die durchschnittlichen hochdramatischen Salomes ziemlich am Ende ihrer Wirkungsmöglichkeiten zu sein pflegen, fing diese belkantistisch lyrische Herodiastochter erst an. Solchem aparten Reiz gegenüber stand aber nun natürlich ein Minus an Ausdruckskraft im theatralischen Akzent: eine Salome, die keuchend vor Rachsucht den Kopf des Jochanaan velangt, gibt die Stimme nicht her. Irgendwo muß bei der Rolle eben fast immer ein Zugeständnis gemacht werden. Uebrigens ließe sich auch da für die Roselle manches gewinnen, wenn die Partie streckenweise nach oben punktiert würde. Um der dramatischen Persönlichkeit der Osten die Salome zu ermöglichen, hat Strauß seinerzeit eine »tiefe Fassung« der Rolle hergestellt;1 es würde sich immerhin lohnen, für die Stimme der Roselle desgleichen »eine hohe Fassung« zu machen. (Man hatte das wohl diesmal sogar schon versucht, aber dann doch nicht endgültig durchgeführt.) Eine Persönlichkeit ist jedenfalls auch diese Salome, und das selbst abgesehen vom Gesanglichen: nur auch da weniger dämonische als liebenswürdig gleisnerische Weibsbestie. Auch der Tanz mehr auf diese Art gestimmt, nicht eigentlich orgiastisch. Ellen Cleve-Petz hat ihn sehr klug und geschickt der Sängerin in mehr nur andeutender Bewegung einstudiert. Wir würden aber es ganz passend finden, wenn man wieder auf die ursprüngliche Gepflogenheit zurückkäme und den Tanz von einer stellvertretenden Ballett-Salome ausführen ließe, sofern nicht die Sängerin – und das wird nur selten der Fall sein – auch [eine] ganz ausgesprochene Bewegungskünstlerin ist. Eigenartig an der Roselle, wie alles, endlich auch das Gewand, im amerikanischen Bühnenstil: etwas sehr nach modernem Gesellschaftskostüm aussehend, aber vorteilhaft und königlich kleidend.
Von dem, was neben Salome auf der Bühne stand, war nur Lorenz als junger Hauptmann Narraboth neu; schön, jugendlich, heldenhaft in der Erscheinung, schön, frisch, glänzend auch im Gesang. Sonst sah und hörte man außer einem sehr lebendig beweglichen Judenquintett den stimmgewaltigen, an Verinnerlichung im Laufe der Jahre gewachsenen Jochanaan Burgs und die prachtvollen Charaktergestalten, die Irma Tervani und Fritz Vogelstrom als ungleiches Königs-Ehepaar stellen. Ihre Bedeutung war durch die hellere Beleuchtung im vollsten Sinne des Wortes noch gesteigert ins Licht gerückt. Mit Bedauern gedachte man da der Gerüchte, die von einem »Abbau« älterer bewährter Kräfte unseres Ensembles wissen wollen. Die Oper braucht wohl Nachwuchs und braucht gute schlagfertige Repertoiresänger: aber ein leichtherziger Verzicht auf starke Sonderpersönlichkeiten, die in einem, sei es auch nur begrenztem Kreis, eine durch nichts zu ersetzende große Tradition verkörpern, würde sich schwer rächen. Doch noch ist es ja nicht so weit. Für diesmal brachte der Abend allen Beteiligten wieder einen starken Erfolg.
1 | Gemeint sind wohl die autograph überlieferten Punktierungen für Eva von der Osten aus dem Jahr 1915. Für deren Edition im Rahmen der Kritischen Ausgabe vgl.: Salome op. 54, deutsche Fassung, hrsg. von Claudia Heine und Salome Reiser, Wien: Verlag Dr. Richard Strauss 2019 (= Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe, Serie I Band 3a). |