Th.
»Salome unter Strauß«
in: Dresdner Anzeiger, Jg. 195, Heft 474, Montag, 3. November 1924, Morgenausgabe, Rubrik »Kunst und Wissenschaft«, S. 2

relevant für die veröffentlichten Bände: I/3a Salome, I/3b Salome (Weitere Fassungen)
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Salome unter Strauß

Als Strauß am Sonnabend den Orchesterraum betrat, wurde er mit mächtigem Beifall empfangen, als die Oper zu Ende war, verstärkte sich der Beifall fast zu einem Orkan von ungefähr sieben Minuten Dauer. Dazwischen lag eine Aufführung, die uns wonnevoll erhob. Es ist doch ein Unterschied, ob der Meister selbst dirigiert. Das ganze Getriebe auf der Bühne wird anders.

Wir haben Salome in der Woche vorher schon in derselben Besetzung gehabt. Welch eine Begeisterung durchflutete die zweite Vorstellung. Straußens Gegenwart, Straußens eigene Direktion flammten die Künstler zum Höchsten an. War schon vor acht Tagen eine außergewöhnlich gute Vorstellung zu verzeichnen, so war die jetzige ein Ideal. Gespannt wie bei der ersten Aufführung saß man wieder im Theater. Eva v. d. Osten hatte wieder den alten blühenden Glanz ihrer Stimme gefunden. Dazu kam die von uns oft gerühmte, diesmal von stärksten inneren Impulsen getragene Darstellung. So wurde uns eine Salome gegeben, wie wir sie uns nicht besser wünschen können. Plaschke, Vogelstrom, Tervani, das Judenquintett, Eybisch bewährten sich wieder ausgezeichnet, so daß kein Wunsch unerfüllt blieb. Und alles war angetrieben von einer Macht, die man im Grunde nicht näher bezeichnen kann, sondern nur mit dem Worte umschreiben kann: Der Meister führte den Taktstock.

Was hat denn Strauß nun gemacht? Eine Orchesterprobe hat nicht stattgefunden, und er selbst hat auch früher die Salome anders dirigiert. Nervöser, leidenschaftlicher. Trotzdem dieses beglückende Ergebnis!

Vor allem war eins zu bemerken: die große Abdämpfung des Orchesters von Strauß. Man verstand jedes Wort. Man erging sich auf der Bühne in einem natürlichen Gesang und überanstrengte die Stimmen nicht. Das gab den Sängern sehr viel Freiheit. Einzelnes nahm Strauß ruhiger als einstmals. So z. B. die Jochanaanstellen. Wie Strauß als Dirigent überhaupt kein Schulmeister ist, der immer in einmal festgelegtem Tempo drauflos musiziert, sondern Tempo, Agogik usw. der jeweiligen Stimmung anpaßt. Dazu kommt, daß Strauß heute erheblich ruhiger ist als vor etwa neunzehn Jahren, als wir die Salome zum ersten Male von ihm hörten. Damals erfreute er durch den Schwung, heute bezwingt er durch die Ruhe. Trotzdem ist ihm auch heute der Schwung an den Stellen, wo er notwendig ist, nicht abhanden gekommen, wie er z. B. in dem Schluß oder in der wundervollen Stelle nach Jochanaans Abgang bewies. Aber im großen und ganzen wies er dem Orchester die Rolle des Begleitinstrumentes zu, und das Orchester folgte ihm begeistert nach seinem Willen und Wunsch, auch ohne Probe. Hier zeigte es sich, was es macht, wenn der Meister selbst die Führung hat in seinem geistigen Eigentum. Jeder Takt steht an der richtigen Stelle und klingt wie er erfühlt wurde. Es war prachtvoll. War ganz in dem Stil, den Strauß haben will für die Aufführung seiner Werke; daß jedes Wort verständlich wird und das Orchester sich nicht mehr vordrängt als notwendig ist. Sein berauschender Klang ist dadurch nicht im mindesten gefährdet. Wie sich jetzt wieder herausstellte.

[…]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Claudia Heine

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42654 (Version 2021‑09‑29).

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