Neitzel, Otto
[ohne Titel]
in: Kölnische Zeitung. Stadtanzeiger zur Kölnischen Zeitung, Heft 65, Mittwoch, 24. Januar 1900, Rubrik »Kunst, Wissenschaft und Leben«, S. 1

relevant für die veröffentlichten Bände: III/4 Macbeth
[Das siebente Gürzenich-Concert]

fand am 23. Januar unter Leitung der Herren Dr. Franz Müllner und Richard Strauß sowie unter Mitwirkung der Frau Strauß‑de Ahna und des Violinvirtuosen Friedrich Kreisler statt. […] Alle Kinder der Richard Straußschen Muse waren dem Gürzenich‑Publicum vorgeführt worden, außer seinem Macbeth und, wenn wir uns recht erinnern, seiner F-moll-Symphonie. Gestern hielt denn auch Macbeth einen, wie gleich gesagt sein möge, triumphirenden Einzug. Die symphonische Dichtung stammt aus dem Jahre 1891, steht also zwischen Don Juan und Tod und Verklärung. Wir glauben ihren ersten Entwurf um einige Jahre früher und in das genannte Jahr nur die endgültige Fassung ansetzen zu müssen. Die Motive sind noch breiter ausgreifend als in seinen letzten Werken, und Strauß überschätzt nicht die Fassungskraft seiner Hörer, er stellt noch nicht diese unentwirrbaren Rechenexempel auf, bei denen hier und da zwar wie Wappenhalter einige leidlich consonirende Accorde stehen, zwischen denen jedoch sich die Tonfluten ununterscheidbar durcheinanderwälzen, zur Freude der modernen Herren Kapellmeister, deren Blicke strahlen, wenn es auf dem Papier recht bunt hergeht; es sind hier noch nicht diese Häufungen von Motiven, die, an sich schon nicht übermäßig prägnant, nun gar erst in ihrer Zusammenkoppelung vollends verwirren. Strauß denkt hier noch an diejenigen, die ihn auch ohne Partitur verstehen sollen, dazu auch ohne langes Büchlein mit zahlreichen Notenbeispielen. Macbeth ist ein so bekannter und so schlichter Stoff, daß er keiner großen Erläuterungen bedarf, zudem ein solcher, der eine musicalische Ader in sich führt, aus dem sich recht wohl eine symphonische Dichtung zimmern lässt. Da haben wir denn gleich zu Anfang die Motive eines noch ziemlich unbestimmten, daher gleich der embryonischen Quint am Anfang von Beethovens Neunter in leeren Quinten schreitenden Thatendranges, dann ein Motiv des quälenden Ehrgeizes, endlich eins der Hinterlist, um jenen Ehrgeiz zu befriedigen. Bald naht auch mit verführerischem, aber eisigem Schmeichellaut Lady Macbeth. Sie ist hartnäckig und läßt sich durch Einwürfe nicht beirren. Wie glänzend erstrahlt die Ruhmessonne Macbeths, als, so denken wir, der edle Banquo bei ihm eingekehrt ist. Es gibt zwei Tote in dem Stücke, diesen und Macbeth selbst, und beide Katastrophen sind mit unnachahmlicher Wucht, mit einer rhythmischen Brutalität, wir meinen einer zum künstlerischen Ausdrucksmittel erhobenen Brutalität, geschildert, die uns erschüttert. Macbeths Reue nach dem Gewaltact reiht sich dem Rührendsten an, was in der Musik bisher erklungen. Wenn diese Momente, von dem eigenartigen Ausgang nicht zu sprechen, da wir hier keine Analyse geben können, schon als neu zu bezeichnen sind, wie viel mehr wieder die überlegene Orchesterbehandlung, die wir ja an seinen letzten Werken immer und leider zu ausschließlich bewundern müssen, und die hier um so mehr wirkt, als sie nie verwirrt und einem hohen poetischen Zwecke dient. […]

verantwortlich für die Edition dieses Dokuments: Stefan Schenk

Zitierempfehlung

Richard Strauss Werke. Kritische Ausgabe – Online-Plattform, richard‑strauss‑ausgabe.de/b42627 (Version 2017‑03‑31).

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