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[23] […] Die erste Symphonie in d-Moll, die er mit sechzehn Jahren schrieb, wurde in einem öffentlichen Konzert der Musikalischen Akademie unter der Leitung von Her[24]mann Levi am 30. März 1880 uraufgeführt. Mein Vater hatte es sich nicht nehmen lassen, Partitur und Orchesterstimmen eigenhändig zu kopieren, er spielte ja auch selbst mit. Vater war natürlich sehr nervös und aufgeregt, während Richard ganz ruhig blieb und gar keine Vorbereitungen traf. Mama und ich hatten unsere Abonnementsplätze und Richard stand in seinem Sonntagsanzug, wie immer, hinter der ersten Säule links, wo die Künstler den Saal betreten. Ich hielt in meiner Erregung die Daumen noch fester in die Handflächen gepreßt, als hinge von meinem Kraftaufwand das gute Gelingen der Aufführung ab. Still und angstvoll hockte ich auf meinem Stuhl und mit jedem Takt nahm das Gewicht, das mir auf der Seele lastete[,] ab, ich kannte ja jede Note.
Der Erfolg war außerordentlich. Der dirigierende Musikdirektor Hermann Levi zeichnete selbst den jungen Komponisten durch seinen Beifall aus. Welch ein Stein fiel Mutter und mir vom Herzen, und mein Vater mag nach keinem anderen Konzert so erleichtert aufgeatmet haben wie nach diesem. Was es überhaupt für ihn bedeutete, bei der ersten Aufführung eines größeren Werkes seines Sohnes mitzuspielen, im Odeon, an der vornehmsten Stätte des Münchner Musiklebens, vor einem anspruchsvollen Publikum und gegenüber einer überaus strengen Fachkritik, ist nur schwer nachzuempfinden! Ein Mitschüler und Freund Richards, der nach Jahren die erste Biographie über meinen Bruder schrieb, Max Steinitzer, erwähnt, daß ihm seine Klassenkameraden den gewonnenen Ruhm nicht anmerkten; und das Verhältnis zu Schule und Unterricht blieb wie zuvor. Trotz seines Erfolges wurde er zu Hause nicht viel gefeiert. Meine Eltern hielten in kluger Beherrschung mit dem Lob zurück.
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